Gedanken zur Meditation „Stille Gelassenheit“

Wir wollen uns jetzt einmal mit der Meditation in Stille beschäftigen, und dabei die Frage aufwerfen, was Meditation eigentlich ist. Ich nehme die zur Zeit für mich gültige Antwort schon einmal vorweg:

Ich weiß es nicht.

Was und wie ich meine Meditationen gestalte, ist schwer zu erklären, denn ich sitze einfach nur in einer entspannt und fest gestalteten Sitzhaltung und mache etwas, das ich nur als „Nichts“ beschreiben kann, denn der Inhalt ist nicht festgelegt, folgt nicht einer Struktur, folgt keinem Gedankenkonstrukt, keinem Rezept oder so etwas. Ich sitze da, der Körper ist still, der Atem ruhig und gleichmäßig (…das ist nicht immer so, bei Zorn zum Beispiel.), der Geist entspannt sich, ohne den Körper zu beeinflussen, und dann erfolgt irgend etwas, von dem ich bisher keine Ahnung hatte oder eben etwas, was mich sowieso die ganze Zeit schon beschäftigt hat. Wenn ich Texte schreibe wie diesen hier, wird mir das in meiner Meditation begegnen, ein paar Minuten vielleicht, löst sich dann irgendwann auf und verschwindet spurlos, um anderen Gedanken ihren Platz zu hinterlassen. Wie viele Gedanken meine Sitzung begleiten (werden), weiß ich weder vor noch nach meiner Sitzung, und ich denke auch nicht weiter darüber nach oder versuche, das in Form einer Qualitätsbeschreibung zu fixieren. Es ist für mich gleich-gültig.



In meinem Geist taucht während des Sitzens ein Gedanke auf. Er ist einfach da, wächst und treibt wie eine Pflanze wunderbare Blüten aus. Das darf geschehen. Es wird weder von Freude noch von Ärgernis begleitet, nicht von Angst noch von einem Ausbruch von Triumph. Und irgendwann wird das Geschehen von etwas anderem abgelöst, ohne mein Zutun, ohne es geplant, gewünscht oder befürchtet zu haben. Und dann geht das Spiel von vorne los. Der Gedanke wächst, treibt Blüten aus, verstreut sich und macht einem neuen Gedanken Platz. Und so geht das Spiel weiter und weiter und irgendwann gongt die Meditationsuhr und fordert das Sitzungsende ein.

Gedanken zu beobachten, ist in der Meditation nicht möglich, da der Beobachter ja erst ein Produkt der Gedanken ist, die im leeren Raum (des Bewusstseins) auftauchen. Ohne das Beobachtete gibt es keinen Beobachter. Also beobachte ich nicht wirklich bewusst. Wer jemals auf einen Gedanken gewartet hat, der in einer Sitzung auftauchen soll, wird bemerken, das das Erwartete einfach nicht geschieht, denn der Raum ist erfüllt vom Warten, das ja ebenfalls Gedanke bzw. Wille ist. [1. Allerdings kann das zu einer Methode werden, die in sich geschlossene Gedankenketten zu unterbrechen vermag. Das anzuwenden, empfiehlt sich allerdings nur bei allergrößter Qual.]

Zeiten/Dauer ohne Gedanken sind nicht wahrnehmbar. Gedanken und Zeit sind eine Polarität. Ohne Gedanken keine Zeit, ohne Zeit keine Gedanken. Wenn es also gelingt, die Zeit zwischen den Gedanken auszudehnen, was viele Meditationstraditionen einfordern, werde ich das gar nicht direkt wahrnehmen können. Ich könnte höchsten anmerken, das für 25 Minuten Zeit die Summe der Gedanken mir sehr gering vorkommen würde und daraus folgern, Zeit ohne Gedanken gehabt zu haben. Aber wozu soll das gut sein? Es würde höchstens eine Form von Stolz in mir hervorrufen, die meine nächste Sitzung allein schon durch diese Vorstellung belastet. Also heißt es nach der Sitzung, nur aufzustehen, sich dem Nachdenken über das Geschehene zu enthalten und sich seinem Alltag zu widmen. Alles andere wäre nutzlos, sinnlos und noch nicht einmal ratsam. Nachdenken über Meditation ist keine Lösung.



Die festgelegte Form meiner täglichen Meditationssitzungen dient lediglich der Ausgestaltung meiner Sitzhaltung und der Einübung von Demut, Geduld und Langmut. Ein weiteres Motiv dient der Negierung einer Neigung in mir, auf Gedanken und Körper-Impulse direkt mit Handlung, mit Ausdruck antworten zu müssen, ohne dessen Inhalt hinterfragt zu haben. Diese Art von Schnellschüssen haben in meinem Leben schon viel Unheil, Leid und Unruhe verursacht, und ich versuche heute, damit etwas intelligenter umzugehen. Diese Neigung versucht, schnell eine Lösung herbeizuführen, ist oft von Ungeduld und Bitterkeit erfüllt, und es ist zu erkennen, das diese Stimmungen von Ereignissen der Vergangenheit geprägt werden, die es künftig zu verhindern gelte. Die o.g. Form der Meditation hat mir sehr geholfen, diese Neigung zu erkennen, in Frage zu stellen und das Geschehen etwas sanftmütiger zu handhaben. Konflikte mit Mitmenschen belasten sowohl den Alltag als auch die Meditation. Sie zu vermeiden ist daher angebracht. Und überhaupt drängt sich die Frage auf: Warum soll ich, obwohl ich weder weiß, was Meditation ist noch ein Konzept habe, was ich damit erreichen möchte, mir die Mühe machen und täglich zwischen 2 und 4x 25 Minuten lang in dieser Haltung verbringen? Ich frage mich das, weil ja in unserer Kultur die Gedanken einen Anfang haben müssen, eine Ursache haben müssen und weiterhin dazu neigen, ein Ziel zu verfolgen oder aber eine Befürchtung, die meine Zukunft ins Negative verändern könnte, zu vermeiden. Nun ist die Meditation, die heute in aller Munde ist, ja gar nicht in unserer Kultur entstanden. Sie kommt ja meist aus Indien, aus China und Japan oder einem anderen asiatischen Land. Die eigene Kulturtechnik der Meditation, die Europa hervorgebracht hat, nennt man heute gerne Kontemplation und besagt, das ich über eine Vorstellung nachdenke, die meiner Kultur entspringt. Das kann Gott sein, das Gute, Wahre und Schöne heißen, die Erreichung einer Tugend ausformen und/oder Verhaltensregel im Alltäglichen beleuchten. Soweit so gut.

Die Meditation der Stille, die ich zu pflegen versuche, denkt eben nicht gezielt über eine Vorstellung nach, zumindest nicht generalisiert. Das könnte ich einfügen, muss ich aber nicht tun. Es ist in meiner Vorstellung doch eher das Lassen, was meine Meditationsweise ausmacht. Ich habe oft beobachtet, das ich mich ärgerlich auf den Meditationsplatz gesetzt habe und befürchten musste, das dieser Ärger meine Zeit füllen würde. Doch meist spielte der, war der Sitz erst eingerichtet und der Atem von seiner Überfülle befreit, gar keine Rolle. Wenn dann Gedanken aufzogen, kamen diese meist aus einer ganz anderen Richtung, die ich so in meinem Ärger gar nicht mehr auf dem Schirm hatte. Und oft war schon nach zwei Runden der Ärger in seiner Aggressivität verflogen. Was blieb davon, war eine Erinnerung an eine als körperlich unschön empfundene Zeitspanne.

Ich komme zurück zu den Meditationweisen aus Asien, und dabei ganz speziell zu denen aus China. Denn von dort stammt die Form der „Stillen Gelassenheit“, wie ich diese Art des Sitzens in Stille zu nennen mich entschieden habe. Ich hätte sie auch „Shikantaza“, „Nur Sitzen“ oder „Objektlose Meditation“ nennen können. „Stille Gelassenheit“ trifft es aber besser. Betrachten wir dazu einfach einmal den Begriff Gelassenheit. Wie gewohnt greife ich dazu erst mal auf Wikipedia zurück, was nicht heißt, das ich die dortige Definition begrüße, sondern weil das die am Weitesten verbreitete Ansicht wiedergibt:

Gelassenheit, Gleichmut, innere Ruhe oder Gemütsruhe ist eine innere Einstellung, die Fähigkeit, vor allem in schwierigen Situationen die Fassung oder eine unvoreingenommene Haltung zu bewahren. Sie ist das Gegenteil von Unruhe, Aufgeregtheit, Nervosität und Stress. Während Gelassenheit den emotionalen Aspekt betont, bezeichnet Besonnenheit die überlegte, selbstbeherrschte Gelassenheit, die besonders auch in schwierigen oder heiklen Situationen den Verstand die Oberhand behalten lässt, also den rationalen Aspekt innerer Ruhe.
Das Wort Gelassenheit stammt vom mittelhochdeutschen Wort gelāʒenheit (Gottergebenheit) ab, dieses von gelāʒen, Partizip Perfekt von gelāʒen. Laut Sprachforschung bedeute der mittelhochdeutsche Ausdruck gelāʒen sich niederlassen, sich gottergeben, später maßvoll, ruhig benehmen oder gottergeben, später maßvoll in der Gemütsbewegung sein. Aktuell bedeutet es abgeklärtes Wesen, Ruhe, Gleichmut. Wikipedia.de

Sie ahnen schon, das ich mit dieser Definition nicht einverstanden sein kann, zumindest was ich über den von mir gewählten Begriff „Stille Gelassenheit“ ausdrücken möchte.



Gelassenheit ist ein zusammengesetztes Wort und besteht am Anfang aus der Vorsilbe „ge“, was nicht anders bedeutet als das etwas geschehen ist, dem ich jetzt ausgeliefert bin. Beispiele dafür sind gefangen, geläutert, gebunden oder ähnliche Worte. Gelassen bedeutet somit, das ein „Lassen“ geschehen ist. Ich finde mich also in der Form eines abgeschlossenen Lassens vor. Was ich dann geschehen lassen muss, was und wie ich ausgeliefert bin, ist dabei durch das erste Wort „Stille“ bezeichnet. Ich wurde also aus einer Nicht-Stille in die Stille überführt und verharre jetzt willenlos und ausgeliefert in dieser Stille. Das in Wikipedia dazu gemengte „Sein“ in verschiedensten Formen kommt weder in Gelassen noch in der substantivierten Form Gelassenheit vor und verfälscht das Verb, da das europäische Sein ja einen Grund, eine Ursache oder ein Transzendentes wie Gott (Gottergebenheit) voraussetzt. Auch hat die Sonne wie in Besonnenheit nichts mit meiner Definition zu tun, da die Sonne oder das Sonnen für den Menschen ja ebenfalls ein der Sonne ausgesetzt sein bedeutet. Die Sonne scheint mit oder ohne unser Zutun: Sie scheint einfach. Auch behält im Lassen nichts die Oberhand, schon gar nicht der Verstand. Wie kommt man auf eine solche Idee? Und was bitte sehr hat das mit Emotionalität zu tun. Emotion ist ein Gefühl, eine Sinnesäußerung, das in seiner Wahrnehmung eine körperliche Anpassung an etwas vornimmt. Und was um alles in der Welt hat die Ratio, also das Zurückgreifen auf Wissen mit Stille oder Lassen zu tun? Was ich also mit Gelassenheit und Stille meine hat nichts von dem in Wikipedia gemeinten Zusammenhang zu tun. Stille heißt in seiner Vollendung: Kein Gedanke, keine vorlaute Sinneswahrnehmung. Lassen heißt, im Tun des Sitzens gibt es weder Ziel noch Willen. Um das ganze abzurunden, betrachte ich Gelassenheit in Stille als ein Tun ohne Wissensvorgabe, ohne Konzeptvorgabe, ohne irgendeine Absicht, ohne eine Vorstellung, ohne eine Zielvorstellung, ohne Profit, ohne Ernte oder ein sonstiges Rezept, um etwas zu erreichen. In der chinesischen Sprache und Kultur, aus der dieser Begriff abgeleitet bzw. übersetzt wurde, gibt es kein Sein, keine Kausalität und keine Vorgaben zu einem Schöpfer. Das chinesische Denken findet einen Prozess vor, in dem der Mensch sich befindet und der sich vollzieht. Der Mensch kann lediglich durch Regulierung in diesen Prozess eingreifen, ist aber dabei angehalten, das Wesen dieses Prozesses nicht zu kippen. Er soll mit dem „Himmel“ (…der Natur…. ?) gehen, sich mit der Kraft des Tao (Sowohl „Der Lauf der Dinge“ als auch „Die Art des Vorgehens“, sowohl der Himmel als auch das Menschsein, Yin und Yang), verbinden und die Natur des Geschehens nicht maßgebend beeinflussen. Er reguliert nur hier und da die verändernde Bewegung, die von selbst erfolgt. Er kann also lediglich durch kleine Veränderungen in der Neigung die Richtung des Geschehens verändern, nicht aber den Prozess stoppen oder gar umkehren, wie das in Europa gerne angenommen und beabsichtigt wird. Die von mir gemeinte Gelassenheit trägt also mehr die chinesische Bedeutung als die europäische. Und Stille ist die Abwesenheit von Sinneseindrücken, Denken und Wahrnehmungen, also aller sechs Sinne wie im indischen (yogischen) Kulturgefüge üblich. Wo weder Denken noch Wahrnehmungen sind, verschwindet die lineare Zeit, denn sie ist auf dem Denken aufgebaut. Was bleibt ist Dauer.

Was ich also in der Meditation erfahre ist eine Wahrnehmung des Prozesses des Lebens in Form eines Andauerns, wobei alle Sinne einschließlich des Denkens (in Indien: Der 6. Sinn, citta) so etwa wie in einem Hintergrundrauschen verschwimmen. Sie sind da, werden aber mit ihrem Inhalt nicht wirklich angenommen, werden nicht reflektiert und ihnen wird kein Vorzug, keine dominante Rolle zuerkannt. Die Sinne sind da wie ein Baum im Wald, eine Blume auf der Wiese oder ein Stern am Himmel. Und so kehrt Ruhe (Stille) ein im menschlich Da-Sein, zumindest in der eingegrenzten Meditationszeit und der Dauer des Gelingens, und seien das wie so oft auch nur 10 Sekunden. Und diese Ruhe/Stille ist für den Menschen wie ein erfrischendes Bad an einem heißen Tag, ist wie ein anregendes Gespräch nach einer Zeit der Abgeschiedenheit. Der Mensch blüht auf in einer inneren Kraft, die Normalität war im Leben vor der Entwicklung der Reflexion, die Normalität war in der Zeit der vollständigen Einbettung in die natürlich ablaufenden Prozesse. Jeder Gedanke ist da erlaubt, jede Wahrnehmung ist angenommen, jede Erscheinung gehört zum Lebendig-Sein wie selbstverständlich dazu. Und da ist nichts gut oder schlecht, angenehm oder unangenehm, verboten oder erlaubt, überhaupt: Da haben Gegensätze keinerlei Bedeutung.

Was ich von der Meditation erfahren habe, und da ist bei mir keinesfalls irgendetwas dabei, was Erleuchtung genannt werden könnte, ist die angenehme Wahrnehmung, das alles nur da ist. Kein „Das ist erlaubt“, kein „Du-Sollst“, kein „So muss es sein“, keine Anforderung irgendeiner Art wie von/zu/nach…, einfach nur eine Weile lang still Sitzen bleiben und alles so lassen wie es ist. Nach den Monaten und Jahren dieser Praxis kann ich sagen, das die Meditation meine Sicht auf die Welt verändert hat, ja das sich die Welt in meiner Wahrnehmung zum Angenehmen, und mehr zu etwas Angenommenen verändert hat. Selbst die europäische Form der „Gelassenheit“, wie Wikipedia sie beschreibt, gelingt mir heute besser als je zuvor. Allein dafür hat sich das tägliche Sitzen über Jahre hinweg mehr als gelohnt.