Si Tacuisses, Philosophus Mansisses (?)

Ich möchte folgenden Satz voraus stellen, der die Zielrichtung des Artikels erklären soll: Es ist in der aktuellen Lage der heutigen Zeit nicht weise, den Weisheitslehren der großen Lehrer bezüglich der öffentlichen Debatten in Form von Schweigen weiterhin zu folgen. Diese Lehren haben auch heute noch viel zu wenige Anhänger, um in der Gesellschaftsform Demokratie wirksam zu sein.
Es ist schwer und gelingt nur selten, etwas zu sagen, zu schreiben oder anzumerken, was mit den Befolgen von Weisheit in der heutigen Zeit zu tun hat. Im Gegensatz dazu ist Weisheit in eingegrenzten Motiven relativ oft anzutreffen. Das ist trotzdem kein Grund, sich auch und besonders über allgemein gültige Aussagen keine Gedanken machen zu können/sollen und diese eventuell sogar aufzuschreiben. Es geht ja im Schreiben nicht darum, Wahrheiten zu formulieren, sondern Möglichkeiten aufzuzeigen, die belegen, das es auch anders gedacht werden könnte und somit der Wahrheitsgehalt überwiegend im Unscharfen bleiben soll/muss. Wie in der Überschrift bereits angedeutet, ist die immerzu moderne Absicht, die in Medien, Wissenschaft und Politik gehäuft vorzufinden sind, Wahrheiten aussprechen und verbreiten zu wollen eine fragwürdige Handlung, gelingt sie doch selten und lässt in der Regel große Angriffsflächen zurück.



Allgemein betrachtet wurde Weisheit in der Literatur immer dann als gegeben angesehen, wenn entweder eine spezielle Aufgabe wie Streitfälle zwischen Menschen, Familien, Regionen oder sogar Staaten friedlich zu lösen sind und/oder Ratschläge gegeben werden, wie der einzelne Mensch in seiner wie immer auch geformten Umwelt ein mehr entspanntes, sorgenfreies, sicheres und leidloses Leben führen könne. Die Motive, die dahin zu führen in der Lage seien waren zumeist Vertrauen aufzubauen in die aktuell gegebenen politischen und religiösen Strukturen, Vertrauen und Mitgefühl in die Mitmenschen zu entwickeln und ein sich Zurücknehmen in emotional aufreibenden Situationen. Des Weiteren wurde stets auch empfohlen, das Licht der Öffentlichkeit zu meiden und mehr zurückhaltend zu sein mit Kritik und Ablehnung. Weisheit bedingt die Hoffnung auf das gute Gelingen und damit den festen Glauben an die stets innewohnende Intuition, sei es aus sich selbst heraus oder durch die Hilfe des Göttlichen.

Ich habe lange gesucht, um eine allgemeine Form der Definition im Netz für Weisheit zu finden, und wurde zu meinem Erstaunen tatsächlich in de.Wikipedia.org fündig:

Weisheit (altgriechisch σοφία sophía, lateinisch sapientia) bezeichnet vorrangig ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, bei Problemen und Herausforderungen die jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren.
Es gibt mehrere Definitionen und Konzepte von Weisheit, die sich in der Regel in den Spannungsräumen zwischen Rationalität und Intuition, Wissen und Glauben sowie zwischen Erfahrung und Instinkt bewegen. Weitgehende Übereinstimmung herrscht in der Ansicht, dass Weisheit von geistiger Beweglichkeit und Unabhängigkeit zeugt: Sie befähigt ihren Träger, systematisch Dinge zu denken („eine weise Erkenntnis“, „ein weiser Entschluss“, „ein weises Urteil“), zu sagen („ein weises Wort“, „ein weiser Rat“) oder zu tun („ein weises Verhalten“), die sich in der gegebenen Situation als nachhaltig sinnvoll erweisen. Dies geschieht häufig unter Vermeidung störender Einflüsse, wie beispielsweise dem eigenen Gefühlszustand oder gesellschaftlichem Gruppenzwang.
Bei näherer Betrachtung und umfassender Würdigung aller Umstände, manchmal auch erst mit zeitlichem oder räumlichem Abstand, erweisen sich diese Überlegungen, Äußerungen und Handlungen jedoch als „richtig“, zutreffend oder „wahr“.
Entsprechendes gilt für Worte und Handlungen, die der Weise nach reiflicher Überlegung nicht ausspricht oder tut (vgl. „Si tacuisses, philosophus mansisses“[1. als spöttischer, verächtlicher Kommentar: Wenn du (in dieser Sache) geschwiegen hättest, hättest du keinen Schaden verursacht bzw. dich nicht lächerlich gemacht. Synonym zu wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben. Beispiel: Es ist völlig unnötig, sich mit solchen Äußerungen hervorzutun. Dwds.de]). Weisheit wird zu den Kardinaltugenden gezählt. Als Gegenstand wird Weisheit thematisiert von Philosophie und Theologie, den einzelnen Religionen und der Ethnologie, von Wissenssoziologie und Persönlichkeitspsychologie, der Märchen- und Mythenforschung sowie in ihren künstlerischen Gestaltungen durch Kunst, Literatur und Musik.

Bereits der erste Satz…

Weisheit bezeichnet vorrangig ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, bei Problemen und Herausforderungen die jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren.

…der, wird er aufmerksam gelesen, zeigt eindeutig, das der Gehalt von Weisheit weit über das hinaus geht, was man umgangssprachlich unter Weisheit versteht. Die drei Wortgehalte von Natur, Leben und Gesellschaft umfassen bei genauem Hinsehen eigentlich alle Bereiche, mit denen ein Mensch konfrontiert sein kann. Selbst das Universum, die größtmögliche Einheit der Vorstellung, lässt sich leicht in den Begriff Natur eingliedern. Mit Natur werden im deutschen Wortschatz „ alle außerhalb und unabhängig vom Bewusstsein existierenden Dinge und Erscheinungen, die nicht durch die Tätigkeit des Menschen geschaffen wurden (dwds.de)“, angesehen. Dann beinhaltet der Satz das oft gebräuchliche Wort Leben, das wohl am eindrucksvollsten durch Goethe beschrieben wurde:

Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss (Goethe Faust II).

Was Leben letztlich alles sein kann/könnte, wissen wir nicht. In jedem Fall aber ist das Lebendige immer mit einem Kampf um das Weiter verbunden, ein Kampf, der für ein Individuum letztlich immer verloren werden wird. Beide Begriffe also, Natur und Leben, entziehen sich klar und eindeutig einer Definition, die zweifelsfrei wahr sein kann. Was wir daher im Alltäglichen zumeist tun, ist diesen Worten einen Setzungsgehalt zuzuschreiben und nach diesem zu verfahren. Hier steht also „Ich denke, also bin ich (Descartes)“ eindeutig im Gegensatz zu „Ich weiß, das ich nichts weiß (Sokrates)“. Was bedeutet das aber für einen Satz wie „Das war/ist ein weiser Entschluss“? Ich gehe weiter, ohne eine Lösung anzubieten. Das dritte Wort, das die Wirkungsfläche von Weisheit beschreibt, ist die Gesellschaft. Nun gibt es sehr viele unterschiedliche Gesellschaften. Vergleicht man z.b. die Gesellschaften Europas mit der von Nord-Korea, wird das überdeutlich. Trotzdem scheinen beide ja ganz stabil zu sein und sozusagen zu funktionieren. Wenn ich eine Gesellschaft als eine Herausforderung ansehe und bestrebt bin, „die schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise“ zu finden, ist doch wohl leicht zu erkennen, das „funktionieren“ ein Kriterium sein muss bei dieser Suche. Eine Gesellschaft ist doch eine…

…größere Gruppe von Menschen, die (organisiert) unter bestimmten politischen, ökonomischen, sozialen und sonstigen Verhältnissen innerhalb eines räumlich begrenzten Gebiets zusammenleben (dwds.de) …

…und sich dafür eine Ordnung gegeben haben, die dieses Zusammenleben möglich macht. Also ist doch wohl jede funktionierende Form als schlüssig und daher auch als sinnvoll anzusehen. Das jedes Gesellschaftsmitglied darin nicht immerzu machen kann, was es möchte, erschließt sich wohl von selbst. Die Ordnung in Gemeinschaften beinhaltet immer einen Zwang, sich anzupassen. Nur ein Einsiedler kann sich von einem solchen Zwang befreit sehen. Selbst die Zweisamkeit einer Lebensgemeinschaft beinhaltet bereits eine funktionale Ordnung, auch wenn diese nicht niedergeschrieben sein muss.

Kommen wir weitergehend zum zweiten Block der eingangs erwähnten Beschreibung von Weisheit, die die oben genannten allgemeinen Deutungen bereits eingrenzt und verzweigt:

Es gibt mehrere Definitionen und Konzepte von Weisheit, die sich in der Regel in den Spannungsräumen zwischen Rationalität und Intuition [2. Eingebung, ahnendes Erfassen, Erkenntnis ohne wissenschaftliche Einsicht.], Wissen und Glauben sowie zwischen Erfahrung und Instinkt bewegen.

Die Aussage, es gebe mehrere Konzepte über Weisheit ist sehr optimistisch formuliert. Im Prinzip hat jede Religion, jede Gesellschaftsform, jede Philosophie und jedes logische System ein eigenes Konzept darüber, und dann gibt es ja noch die Kombinationen von Gesellschaft, Religion, Charakterstatus und Bildung innerhalb einer Gesellschaft, die jeweils wieder eine neue Version von Weisheit hervorzuzaubern vermögen. Es sind also nicht mehrere, sondern unendlich viele Konzepte möglich. Das es in jeder Gesellschaft eine weitgehend verallgemeinerte Version gibt, der sehr große Teile der Bevölkerung anzugehören scheinen, reduziert das nur unwesentlich. Daher kommt wohl auch die schon erwähnte weitgehende Übereinstimmung, die heute gerne neudeutsch „Mainstream“ genannt wird. Das aber eine mehr oder weniger große Mehrheit ähnliche Vorstellungen besitzt, heißt ja nicht, das es nicht auch andere gerechtfertigte Ansichten geben kann. Daher kommt auch die in freiheitlichen [3. Freiheit im Gesellschaftsleben heißt nicht Unabhängigkeit von Regeln, Vorschriften und Gesetzen, sondern die individuelle Freiheit endet meist schon dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. In Demokratien sollten diese aber vom Volk und nicht von denen, die Macht ausüben, gesetzt werden.] Gesellschaften übliche Anforderungen, Toleranz [3. im Sinne von erdulden, erleiden, ertragen] zur Maxime zu erheben und nur das absolut Notwendige, das aber auch allgemein betrachtet regelbar sein muss, in Gesetze einzugießen. Die erwähnten störenden Einflüsse kommen dort zum Tragen, wo Toleranz nicht mehr gepflegt wird, was sich häufig in Emotionen oder emotionsgeladenen Gruppenzwängen beobachten lässt. Es erscheint daher weise, nur dort Vorgaben zu machen, wo dies unbedingt notwendig und auch machbar erscheint. Es wäre weiterhin notwendig, allen nicht geregelten Verhaltensweisen anderer mit Toleranz zu begegnen und dies immer unter der Maxime zu betrachten, die Freiheit jedes Einzelnen so weit wie möglich zu wahren. Das sind zusammengefasst sehr hohe und fast unerfüllbare Anforderungen, die jedem Einzelnen einer Gesellschaft zugemutet werden müssten. Die Basis dazu wird oft mit dem Begriff „Allgemeinbildung“ umschrieben, die, wie mittlerweile wieder oft zu lesen ist, nur geringen Anteilen einer Bevölkerung zugestanden wird und die weiterhin nicht auf andere Gesellschaftsformen übertragen werden kann. Die bestehenden Gesellschaften weltweit entbehren der Hoffnung auf Veränderung. Daher auch die Krisen, die unzähligen Konflikte und Übertretungen der Ordnungen sowohl innerhalb konstituierten Gesellschaften als auch im Zusammenspiel verschieden ausgeprägter Formen von solchen Systemen.

Die weitergehenden Beschreibung in der von Wikipedia gebrachten Form sind wenig hilfreich und festigen nur noch die bereits beschriebenen Motive. Der als Überschrift gesetzte Satz, das es hier und da weiser ist, sich nicht zu äußern als unbequeme, unangebrachte oder verletzende Wahrheiten auszuplaudern, erschließt sich ja bereits durch einfache Schlussfolgerung. Nicht jeder Gesellschaftsangehörige wird das notwendige Maß an Toleranz aufbringen können, da ja die Messlatten Allgemeinbildung und Toleranzfähigkeit sehr hoch liegen. Die künstlerischen Formen von Kunst selbst, Literatur und Musik würde ich persönlich aus einer Weisheitsbetrachtung ausschließen [1. Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein. (Adorno) Sie zeitigt Möglichkeiten, aber nicht Wahrheit oder Weisheit. (HpS)], da sowohl die Ausdrucksmöglichkeiten der Künstler als auch die Verständnisformen der Betrachter, Leser und Hörer sehr unterschiedlich sein müssen/werden.



Der nächste Abschnitt aus der Definition:

Weitgehende Übereinstimmung herrscht in der Ansicht, dass Weisheit von geistiger Beweglichkeit und Unabhängigkeit zeugt: Sie befähigt ihren Träger, systematisch Dinge zu denken („eine weise Erkenntnis“, „ein weiser Entschluss“, „ein weises Urteil“), zu sagen („ein weises Wort“, „ein weiser Rat“) oder zu tun („ein weises Verhalten“), die sich in der gegebenen Situation als nachhaltig sinnvoll erweisen. Dies geschieht häufig unter Vermeidung störender Einflüsse, wie beispielsweise dem eigenen Gefühlszustand oder gesellschaftlichem Gruppenzwang.

Mir persönlich erscheint Weisheit dann als gegeben, wenn deren Aussagen, Handlungen und Anforderungen von unabhängiger Selbstständigkeit zeugen, dieses Konzept-frei aus einer intuitiven Betrachtung heraus geschieht und die Wahrscheinlichkeit groß ist, richtig zu liegen. Daher werden auch nur dann Menschen „weise“ genannt, wenn sie bereits zahlreiche Beispiele ihrer Weisheit geliefert haben. So wird Weisheit oft auch in der Geschichte nur älteren Menschen mit einem großen Erfahrungsschatz zugeschrieben. Wo ich persönlich keinerlei Weisheit auffinden kann ist in Motiven wie Ideologie, Wertvorstellung und Zugehörigkeit gut zusammengefasst, da hier jeweils eine Vorauswahl getroffen wurde und es danach unmöglich ist, auf ein konkrete Ereignis Bezug zu nehmen. Eine Vorauswahl muss immer Konzept-verhaftet und kann niemals frei und offen sein. Sie beruft sich auf Erfahrungen der Vergangenheit, die jetzt im Moment bereits vollkommen falsch sein könnten. Auch 99 Versuche mit positivem Ergebnis kann mit Versuch 100 das Versagen folgen. Jeder, der sich jemals mit Kuchenbacken beschäftigt hat, wird das bestätigen können. Weise ist daher, wer das berücksichtigen kann ohne tatenlos zu sein.

Nun werden in Bezug zu Weisheit oftmals herausragende Persönlichkeiten der Weltgeschichte genannt und ihr Lebenswerk in ausführlichen Biographien dargestellt. Ich möchte dem allerdings hier nichts hinzufügen. Weisheitsbücher gibt es mehr als genug. Allerdings finden sich dort auch viele Vorschläge und gut gemeinte Ratschläge, die praktisch in der heutigen Zeit (2024) gar nicht mehr umsetzbar wären. Nehmen sie das Tao Te King. Wäre dieses Buch heute ein Ratgeber für Menschen in Politik und Wirtschaft? Bescheiden-Sein, nicht ins Rampenlicht gehen und aus dem Verborgenen heraus die Menschen führen, vielleicht sogar so, das diese die Einwirkungen der mächtigen Anführer gar nicht wahrnehmen könnten? Würde das heute funktionieren? Was uns die Bücher der Weisheit [1. IGing, TaoTeKing, Mahabharata, Edda, Shobogenzu, Mysterienschulen, Taoismus, Buddhismus, Hinduismus, Schamanismus usw.] lehren, lässt sich im Grunde genommen auf wenige, allgemein zu verstehende Anweisungen zusammen-denken. Beginnen wir mit der häufigsten Aussage, das nämlich der Mächtige seine Macht nicht zu seinem eigenen persönlichen Wohl ausnutzen dürfe. Das kann und muss heute doch wohl mit der Forderung verstanden werden, Korruption gleich welcher Art unter keinen Umständen zuzulassen. Dann werden Bescheidenheit, Demut [1. Anspruchslosigkeit oder das Notwendige hinzunehmen bereit sein…(HpS)] und Großzügigkeit in der Regel als „weise“ angesehen. Weiterhin sagen alle Weisheitsbücher, das, da Menschen heute allgemein betrachtet immer in Gemeinschaften leben, die Regeln der gelebten Gemeinschaft anzuerkennen seinen, auch wenn diese oftmals als ungerecht empfunden werden könnten. Der Weise kämpft nicht gegen die Regeln der Gesellschaft, der er angehört, da diese sich meist als fern der Weisheit darstellen werden und es so etwas wie Gerechtigkeit als Regelwerk ausgegossen gar nicht geben kann. Es gibt nur Regeln, die eine Gemeinschaft gründen. Soweit die allgemein zugängigen Motive, die Weisheit implizieren. Alle anderen Aussagen, die in Weisheitstexten zu finden sind, beziehen sich auf religiöse, weltanschauliche, philosophische und/oder traditionelle Kulturinhalte und sind folglich so unterschiedlich wie die Kulturen, denen sie angehören. Auch hier sagen die Weisheitslehren überwiegend, das jeder Weise die jeweilige Tradition zu beachten habe und es unklug sei, offen dagegen anzugehen. Daher entstanden die Weisheitslehren ja meist auch in einer Einsiedelei und in Klöstern, die sich in beiden Fällen nach außen abzuschirmen verstanden. Weise aller Zeiten der Vergangenheit suchten auch nicht nach Anhängern, bildeten keine lautstark agierenden Schulen und/oder produzierten sich nicht „selbstanpreisend“ in der Öffentlichkeit. Sie wandelten durch ihre Welt und wurden von denen gefunden, die sich später als Anhänger auswiesen. Von den Mächtigen aller Zeiten wurden die Anhänger und Träger der Weisheit oft als Träumer und Sonderlinge dargestellt [1. Buddha, Zen-Meister, Äbte] und/oder sogar mit den Mitteln der Macht und des Rechts verfolgt [1. Laotse gab auf und flüchtete in die Einsamkeit, Sokrates fiel dem Schierlingsbecher zum Opfer, Jesus wurde gekreuzigt.]. Nicht viel anders ging es vielen großen Lehrern der Schulen. [1. Pythagoras zum Beispiel zog sich den Zorn der Bevölkerung seiner Stadt zu und musste fliehen.].

Wenn alle Aussagen des Artikels oben zusammengefasst in wenige Motive geordnet würden, wäre das Ergebnis ernüchternd. Die wenigsten Weisheitslehrer wollten zum Beispiel eine Religion gründen, nur wenige von ihnen wurden von dem Mächtigen ihrer Epoche gehört und/oder geachtet, und nur wenigen gelang ein gelungenes Leben. Das sich die Lehren erst später entfaltet haben, scheint eher die Regel als die Ausnahme gewesen zu sein. Oftmals wurden diese Lehren von Anhängern niedergelegt, die den Gründer niemals erlebt hatten, und so sehen die Schriften dann auch aus. Aus der Suche nach einer Möglichkeit, das Leid der Menschen zu mindern (Buddha) wurden Staatsreligionen, die Verwalter des Christentums (Jesus) schlachteten sich in Jahrhunderten durch die Völker der Welt und mit den Übersetzungen aus der Chinesischen Weisheit wurden Werke in die Welt gesetzt, die heute nur noch schwer verstanden werden können (Laotse).

Warum schreibe ich nun über ein solch schwierig zu fassendes Thema? Es ist der Zeitgeist, der mir diese Beschreibung in die Tastatur zwingt. Wir leben heute in einer Welt, in der alles andere als Weisheit regiert. Tagtäglich werden wir mit Krisen konfrontiert, die nach der obigen Beschreibung durch die Missachtung und durch das Missverständnis von Weisheit zustande kommen. Ich habe oftmals ein Gefühl von Verzweiflung, wenn ich mit dem Studium der täglichen Nachrichten abgeschlossen habe. Die Gründe dafür sind vielfältig. So ist es mit der Forderung nach Toleranz nicht mehr weit her. Wenn Menschen anderen Menschen nicht mehr zuhören können, die eine andere Meinung als sie selbst vertreten, wenn sie deren Meinungsäußerung dann sogar noch zu verhindern suchen, wenn sie „schubsen“, verbieten, behindern und zu verleumden versuchen, wenn ihnen etwas nicht in den Kram passt und wenn das dann noch von (Staats-)offizieller Seite getan wird, sind wir als Gesellschaft vom Befolgen von Weisheit weit entfernt. Wir wollen dann ja auch noch eine Demokratie sein. Können wir das, wenn wir als Volk, das ja den Souverän darstellen soll, gar nicht (mehr ?) gefragt werden und untätig zusehen müssen, wie der Abgrund „Endzeit“ immer näher rückt? Können wir als Volk noch Einfluss nehmen, wenn kleine und sehr laut sich artikulierende Gruppen soviel Lärm machen, das die große Mehrheit gar nicht mehr gehört werden kann. Können wir noch frei sein, wenn es vom Volk gewählten Menschen in Amt und Würden egal ist, was ihre Wähler denken und wünschen, und Korruption, Selbstüberschätzung und mangelnde Demut die aussagekräftigsten Eigenschaften der Mächtigen darstellen? Sind wir überhaupt noch ein Volk, „wenn wir uns in einer dienenden Rolle“ einem anderen Volk gegenüber sehen und unsere wirkliche Stimme in diesem Zusammenhang immer mehr verstummt? Sind wir noch ein weises Volk, wenn wir als David einem Goliath gegenüber wie Herkules auftreten und Krieg, Tod und Verderben dulden, fördern, unterstützen und bewerben, obwohl uns schon längst die Schleuder abhanden gekommen ist, die David den unerwarteten Sieg brachte? Wir spielen zur Zeit „All-In“ und werden, wenn der Bluff schief geht, das Kasino als Bettler verlassen oder sogar dem Tode nahe sein. Erinnern Sie sich noch? Wir Deutschen waren mal ganz oben, wurden geachtet und gemocht, weltweit, und wir hatten viele Jahre lang keine Feinde. Wir galten als das Volk der Dichter und Denker. Wir trieben Handel mit aller Welt, unsere Waren wurden begehrt und unsere Äußerungen zu politischen Fragen wurden aufgenommen und erwogen. Und heute? Das wir in der Welt keinen Einfluss mehr nehmen können stört mich nicht. Das ich aber morgen schon tot sein könnte, weil uns heute die Nicht-Weisheit regiert, das stört mich sehr wohl. Wie sieht es bei Ihnen, dem Leser dieser Zeilen, aus? Wollen Sie wirklich mit der Mehrheit zusammen weiterhin inaktiv bleiben und Ihr Schicksal von Anderen bestimmen lassen? Weise wäre das, betrachten wir unser Freunde und Feinde in der Welt genauer und befolgten die Traditionen der Weisheit, sicherlich schon. Aber ist es auch vernünftig, weiterhin passiv zu sein? Bitte bedenken Sie: Es geht heute nicht mehr um die Zukunft weniger Einzelner wie in früherer Zeit, nicht mehr um das Bestehen einer Schule oder Lehre, nicht mehr um Detailfragen, nein, es geht um das Hoffen auf ein Überleben unserer Art, ja mehr noch, um das Hoffen auf ein Überleben des Lebens auf diesem Planeten. Ja, es ist weise, öffentlich zu schweigen, sich die Augen fest verschlossen in die Klause zurückzuziehen, aber es ist auch vernünftig, zu hoffen und dafür zumindest im privaten Umfeld wirksam zu sein. Es ist heute mehr denn je geboten, das Leben selbst argumentativ und handelnd ganz nach oben zu stellen auf der persönlichen Agenda. Wir haben im Gegensatz zu früheren Zeiten technisch die Möglichkeit geschaffen, eine endgültige Entscheidung über die Überlebensfähigkeit des Menschen zu setzen. Das gab es vor unserer Zeit noch nie, und daher wurde darüber selten bis gar nicht nachgedacht. Es braucht nur noch eine einzige Entscheidung einer Regierung und deren Umsetzung, um unumkehrbar ein Ende zu setzen. Daher müssen wir heute vorausdenken, und nicht wie bisher üblich nur zurückblicken. Auch das Erwachen ist ein Zurückerinnern, ist längst verborgene Bindungen zu erneuern, ist ein Zurückholen des Vergessenen. Was wir brauchen aber ist ein sichere Basis für die Zukunft. Wenn das Hoffen auf ein gesichertes Weiterleben-können erlöschen sollte, erübrigt sich für alle Denkenden sowohl Weisheit, Hoffnung als auch Vernunft. Es gibt heute zum ersten Mal in der Geschichte dieses Planeten keine zweite Chance, kein Wieder-Gut-Machen. Wenn es misslingt, beginnt nur noch der Endkampf um das nackte Überleben, und der hat mit Weisheit nicht mehr viel zu tun.