Über Zazen – frei interpretiert nach den Versen des Shinjinmei

Das Shinjinmei von Meister Sosan (606 n.Ch.) ist der älteste bekannte Text des Zen. Er stammt aus einer Zeit, in der es noch keine Klosterregeln gab und in der das Zen noch nicht in Soto und Rinzai aufgespalten war. Die Verse sind in einer leichten poetischen Form abgefasst und daher etwas schwer verständlich. Ich habe mich bemüht, die ausgewählten Inhalte möglichst knapp und in moderner Sprache zu fassen.

Zazen ist die große Praxis des Zen. In Versenkung (Meditation) zu sitzen ist auf dem Pfad zu wandeln, der das Leiden beendet. Auf ihm beginnt und verwirklicht sich die Transformation, die Buddha selbst als Einsicht in die Welt getragen und dieser zur Aufgabe gemacht hat.

Auf dem Weg der Freiheit gibt es weder Liebe noch Hass. Hier ist alles offen und klar. Der Konflikt zwischen Zuneigung und Abneigung ist die eigentliche Krankheit. Sie ist die Ursache der Unruhe des Geistes. Weder die äußeren Erscheinungen noch die Erfahrung der Leerheit kommen auf dem Weg vor. Der Weg selbst ist leerer Raum. Auf ihm verschwinden alle Verwirrungen.

Den Geist zum Schweigen bringen zu wollen ist Denken. Denken aber ist wählen, ist immer mindestens zwei. Im Einen ist kein Wählen möglich, gibt es weder verachten noch zu Hause sein. Selbst der Leerheit zu folgen, entfernt von der Wirklichkeit. Nur frei von Worten und Gedanken wird alles durchdrungen. Innere Erleuchtung trägt weit über die Leere hinaus. Auch an der Leere zu hängen ist daher eine Täuschung. Es gibt keinen Grund, nach der Wahrheit zu suchen.

Urteilen verwirrt den Geist. Es verbirgt die Wahrheit. Lass los, und alles ist gut. Auch das Eine zu sehen ist schon ein Urteil. Denn das Eine bedingt Zwei. Unterscheidung ist immer zwei. Leerheit ist aber weder eines noch zwei. Darum gehe den Weg gelassen und ohne Sorge.

Die Sinnenwelt ist da. In ihr zu unterscheiden ist Träumen nachzuhängen. Die Wirklichkeit hat kein Ziel, kennt weder Vorliebe noch Abneigung. Sie sieht alle Dinge gleich. Ursachen verschwinden und Vergleiche sind somit nicht möglich. In ihr gibt es keine Regeln, kein Planen und kein Streben. Alle Dinge sind vergänglich. Wozu dann etwas festhalten?

Im Nicht-Denken ist weder Sein noch Nicht-Sein. Das Universum liegt hier vor den Augen. Es gibt weder Sein noch Nicht-Sein. Keine Teilung ist sichtbar. Alles ist eines, eines ist alles. Nur wer das durchdringt, kann in diesem Zustand verharren. GEIST [1. GEIST meint „das Absolute“, das „Alles-Umfassende“ und ist philosophisch vergleichbar mit immanenter Gottheit; Geist ist der Verstand, das Denken.] ist Nicht-Zwei. Nicht-Zwei ist GEIST. Ohne Angst vollende. Es gibt weder Vergangenheit, Gegenwart noch Zukunft.

(In) Zazen (zu sein) ist dieser Weg. Auf ihm zu wandeln ist nicht schwer.