Das Samadhi des Schatzspiegels – Das Hokyo Zanmai

Das Hokyo Zenmai ist ein ZEN-Text von Meister Tozan (807-869) und heißt wörtlich übersetzt: Das Samadhi des Schatzspiegels. Es beschreibt nach Deshimaru-Roshi das Geheimnis des Zen, beschreibt also die Essenz der Buddha-Lehre. Tozan hat darin erstmals die ursprüngliche Lehre schriftlich verfasst, die in seiner Zeit in Vergessenheit zu geraten drohte, weil unterschiedliche Lehren aufzutauchen begannen.



Er verweist im Text darauf, das Sprache niemals die Lehre auszudrücken vermag. Nach ihm ist alles, auch das Bewusstsein, immer Wandlungen unterworfen und kann daher die Essenz nicht bewahren. Auch kann nach ihm die Erleuchtung nicht angestrebt oder nach der Befolgung von Regeln errungen werden. Die Vereinigung der Gegensätze, die sprachlich nicht zu fassen ist, kann nur leeren Bewusstsein erfasst werden. Es sind die Illusionen, die es zu erkennen gilt, die alltäglich das Bewusstsein füllen. Weiterhin sollen sich Schüler und Meister an der gegebenen Ordnung orientieren, um die Lehre auch verwirklichen zu können. Widerstände zu erregen ist der Verbreitung einer Lehre nicht förderlich.

Der nachfolgende Text ist eine freie Interpretation aus meiner Feder, der auf der Übersetzung von Taisen Deshimaru-Roshi aufbaut und versucht, den wenig verständlichen und schlecht gegliederten Text mir selbst zugänglich zu gestalten.

Der Dharma ist ohne Irrtum und ohne Zweifel: Weder Buddha noch die Meister, die ihm folgten, haben jemals darüber gesprochen. Jetzt aber ist DAS erstmals schriftlich niedergelegt. Daher bitte ich euch, es unversehrt zu bewahren.

Der Schnee, die Schale aus Silber, das Licht des Mondes und den Reiher eint die weiße Farbe. Doch so unterschiedlich wie die Namen ist auch das weiß, das sie tragen. Namen und Farben stehen für sich und beleuchten nicht die Essenz. Sie alle sind verschieden und doch in der Essenz vereint.

Bewusstsein ist nicht Sprache. Das Bewusstsein ist ständig Wandlungen unterworfen. Die Sprache ist nur aufgrund einer Konvention fest verankert. Wir werden ständig durch die Worte der Sprache verwirrt, denen wir Bedeutung schenken. So können wir das Bewusstsein an sich nicht wahrnehmen, das sich hinter den Worten verbirgt und in uns entstehen Zweifel. Der Ausdruck der Wahrheit ist sehr einfach. Der Zierrat in der Sprache aber verbirgt die Wahrheit. Wir können uns weder auf die Sprache verlassen noch mit ihr etwas erreichen. Sie ist in Bezug zum Dharma so ungenau wie die Laute eines Neugeborenen, die nur von der Mutter intuitiv verstanden werden. Mutter und Kind verstehen von Herz zu Herz.

Wir können das Satori weder anstreben noch dürfen wir ihm entfliehen. Der Weg der Mitte ist es, der zur Einsicht führt, und diese Mitte ist Zazen. Der Dharma ist das alles umfassende Gesetz. Es zu verstehen überwindet Leiden und vertreibt alle Schwierigkeiten. Wenn die Widersprüche einander durchdringen, sind Frage und Antwort eins. Die Vereinigung der Widersprüche ist daher der Weg. Auf ihm liegt das Glück. Auf ihm wird weder verstanden noch getan. Auf ihm ist weder Illusion noch Erleuchtung. Wie das Hexagramm Li (Doppeltes Feuer), wie die fünf Geschmäcker der Chiso-Pflanze weißt selbst das Diamantzepter auf solches Erwachen hin, das alle Illusionen abschneidet. Wir sollten den Weg gehen ohne abzuweichen.

Licht ist in der Dunkelheit und das Dunkle verbleibt im Licht. Das fünfte Prinzip der Zen-Logik (Go-i) beschreibt die gegenseitige Durchdringung, was grundlegend ist für das Verstehen des Dharma. Es ist wie man sich im Spiegel betrachtet. Ihr seid nicht das Spiegelbild, das Spiegelbild seid nicht ihr. Und doch sind beide identisch. Das Gesetz der ständigen Wandlung der Gegebenheiten wird daher nur im stillen Herzen verwirklicht. Das Kleine ragt dabei in die Unendlichkeit. Das Große aber baut nur Grenzen. Wie jede Abweichung die Harmonie der Musik stört, so stört auch hier jede Abweichung die Stille.

Jetzt aber gibt es zwei Schulen. Die eine folgt dem Plötzlichen, die andere dem Allmählichen, es bilden sich getrennte Lehren und Vorgaben. Selbst wenn ihr die alle Lehren und Schulen versteht, kann das jeweilige nicht die wahre Lehre des Buddha sein. Außen ist Ruhe, aber innen ist Bewegung. Das gleicht einem gefesselten Pferd, das laufen will oder einer sich verbergenden Ratte, die Hunger hat. Die Meister der Dharma-Linie waren darüber betrübt und beschrieben daher den Weg neu:

Wer Illusionen folgt, verfehlt den Weg.

Wer Illusionen sich auflösen lässt, versteht augenblicklich.

Wollt ihr dem alten Weg folgen, betrachtet aufmerksam die Spur der Vorgänger. Damit der Buddha-Weg geschaffen werden konnte, wurden diese Prinzipien lange betrachtet.

Wie der Ohrspalt des Tigers [1. Sprichwort: Der Ohrspalt entsteht, wenn der Tiger Menschen verschlingt = Unvollkommen] oder die Nachtaugen des Pferdes [2. Sprichwort: Weiße Haare an den Knien des Pferdes sehen nachts aus wie Augen, sind es aber nicht.] auf die unvollkommene Schönheit verweisen, so betrachtet der Mensch die Dinge wie seltene Schätze, glaubt sich selbst aber minderwertig und fürchtet sich vor seinem Geist/Ego. Daher muss ein Meister sich innerhalb der Gesellschaft und ihren Konventionen bewegen, wenn er die Lehre weitergeben will. Eine Gefolgschaft muss dem König folgen, ein Sohn folgt seinem Vater und nicht einer Leidenschaft. Beiden nicht zu folgen verletzte die Ordnung und bringt nur Nachteile. Wenn der Mann aus Holz aber singt und die Frau aus Stein sich erhebt und tanzt, erfolgten diese Wandlung aus dem Dharma und nicht aus einer Leidenschaft heraus. Aber auch die erkannte Wahrheit dann nur noch abgeschlossen als Wissen zu verstehen und ihr darum blind zu folgen, ist dumm und beschränkt. Durch perfekte Technik kann der Meister des Bogens immer die Scheibe treffen, aber der Schuss ist wirkungslos, wenn er mitten im Flug einen Pfeil oder eine Lanze [3. Meister Hi‘ei schützte sich erst mit neun Pfeilen gegen angreifende Pfeile eines Schülers. Den zehnten und letzten Pfeil aber wehrte er durch eine geworfene Lanze ab.] trifft.

Das ist die Essenz, die richtige Auffassung. Das allein hat Erfolg.