Ist Zen in philosophischer Weise beschreib- und betrachtbar?

Dazu sollten wir uns zunächst einmal die Grundlage einer Philosophie ins Bewusstsein rufen, wie sie allgemein verstanden wird. Unsere westliche Philosophie beruht in ihren Inhalten in weiten Teilen auf einer nachträglichen Reflektion. Dinge sind geschehen, und um die Ursache dafür zu finden, werden Theorien und Vermutungen angestellt, auf deren Basis dann die Geschehnisse, die zu beleuchten gewünscht wird, hinterfragt werden. Je größer jetzt die Widerspruchsfreiheit der Theorie mit dem wirklichen Geschehen gezeichnet werden kann, desto wahrscheinlicher wird die Anwendbarkeit der Theorie auf ähnlich gelagerte Fälle in Zukunft und Vergangenheit. Weiterhin versucht die Philosophie auch heute noch, nach der Grundlage aller Erscheinungen zu suchen, also eine letztgültige Substanz, ein letztgültiges Prinzip, eine letzte Ursache zu finden, auf der sich ein Theorie- oder Gedankengebäude bauen lässt, das dann imstande wäre, die Welt und alle ihre Erscheinungen zu erklären. Aristoteles nennt dieses Substantia.

Anders als in der westlichen Philosophie lehnen sowohl der Buddhismus als auch Zen das Vorhandensein dieser Ursubstanz, benannt oder beschrieben als Gott, Wasser, Feuer, König oder nur ein Guru, vollkommen ab und setzt als Grundprinzip zum Gedankenaufbau lediglich die Relatio. Hier wird die Rückführung auf einen Grund vollkommen abgelehnt und alles Gesehene und Geschehene als in Relation zu sehen betrachtet. Ein schönes Beispiel für eine ähnliche Weise des Erlebens geschieht jedem denkenden Wesen dieser Welt, das irgendwann in seiner Umgebung erwacht und diese zunächst einmal als gegeben betrachten muss. Niemand beginnt eine beginnende Erkundung mit dem Hinterfragen, sondern mit dem Wahrnehmen dessen, was ist oder als solches erscheint. Auch der Mensch samt seiner Kultur ist hier keine Ausnahme. Zen stellt sich die letzte Ursache als ein leeres unbegrenztes Feld vor, in dem Erscheinungen sich einfach nur manifestieren und ebenso wieder vergehen. Nichts ist ewig, heilig oder unbedingt. Die Wirklichkeit ist in Kurzform gesprochen daher in ihrer Grundlage leer und gilt als nicht fest, nicht ewig, also als Nichts. Da es Nichts ist, kann es im Grunde auch keinen Namen tragen, das wir es aber trotzdem mit Namen versehen wie Nichts, Nirwana, Leere, Liebe oder Selbst ist der Unfähigkeit der Sprachen zu verdanken, ohne Unterscheidungen auch keine Aussagen machen zu können. Auch wenn das Nichts also einen Namen hat, hat dieses trotzdem keine Bedeutung und ist nicht als fest, greifbar oder als Ding zu betrachten. Somit hat die Relatio des Zen keine Substanz, nach der gesucht, gestrebt und geforscht werden kann, aber diese Sichtweise beruht durchaus auf einem Prinzip, das, aber mit bedeutsamen Einschränkungen des Absolutheitsanspruchs in den Definitionen, mit Sprache beschrieben werden kann.

Ich persönlich betrachte die umschreibenden Formen der östlichen Philosophien, die meist keine statische Grundlage haben, trotzdem als Philosophie. Ihre Basis sind Ansichten, die zwar nur durch perspektivische Beschreibungen umrissen werden können, aber die in ihrer Fülle einem intelligenten Menschen ein klares Bild abringen. Intuition nennt man diese Fähigkeit, aus Umschreibungen und Bildern, aus einem erkannten Teil auf das Ganze zu schließen. Wenn wir die Fähigkeit zur Intuition dem Menschen zugestehen, dann sind auch Prinzipien auf nicht-substanzieller Grundlage als Basis für einen philosophischen Aufbau geeignet, und somit kann Zen auch philosophisch beschrieben und betrachtet werden.

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