Shikantaza – Die Kunst des „Nur Sitzens“

Das japanische Wort Shikantaza, das soviel wie „Nur Sitzen“ bedeutet, ist seit meiner ersten Berührung mit Meditation und Zen ein Zauberwort, eine Schatztruhe, die verschlossen vor mir steht und ich verzweifelt versuchte, durch Fragenstellen und Recherchieren im Netz und in Büchern den Schlüssel zu finden, der diese Truhe für mich zu öffnen vermag. Dann kam 2004 das Buch „The Art of just sitting – Essential writings on the zen practice of shikantaza“ 1 heraus und ich versuchte lange, darin lesend eine Antwort auf meine Frage bzw. meine Zaubervorstellung zu finden. Doch das blieb ohne Erfolg, denn die englische Sprache, deren sich die Autoren bedienen, war eine zu große Herausforderung für mich. Jeder Satz musste gedanklich ins Deutsche übersetzt werden und so erlangten die Zeilen und Abschnitte und deren Inhalt für mein Denken und Verstehen keinen Sinn. Dann entdeckte ich das Übersetzungsprogramm „deepl“ und ich konnte hier und da einige Unklarheiten beseitigen, was der Google-Übersetzung, die ich vorher verwendete, nicht ausreichend gelang. Dann, nach einer langer Pause, habe ich beschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen, und ich habe das ganze Buch mit Ausnahme des Stichwortverzeichnisses mit Hilfe von deepl übersetzt. Jetzt, an diesem Tag meines Schreibens, stehe ich nach zweimaliger Überarbeitung an dem Punkt, wo die Frage auftaucht, ob ich diese für mich abgeschlossene Übersetzung nicht allgemein zugänglich machen sollte. Es gibt bis heute (2023) keine deutsche Übersetzung, zumindest soweit mir das bekannt ist. Das ist schade, denn die Texte sind wirklich geeignet, das Verstehen der sogenannten Technik, Methode, Tätigkeit, Meditations- und Seins-Weise von Shikantaza zu erweitern, wenn nicht sogar erst zu ermöglichen. Daher stelle ich meine Arbeit allen Suchenden als Download zur Verfügung.

Shikantaza ist ein sehr umstrittener Begriff. Zumindest erscheint mir das so und bestätigte sich immer wieder, wenn ich Zen-Lehrer oder sogar Zen-Meister danach zu befragen suchte. Ich will gar nicht versuchen, die Antworten und Erwiderungen aufzuführen, die mir dabei zuteil wurden, sondern kurz und prägnant versuchen, den Kern dessen, was die Schriften des o.g. Buches aussagen, zusammenzufassen. Shikantaza ist keine Methode, keine Meditation, keine religiöse Praxis und auch kein Rezept der Art „Wie komme ich zu Erleuchtung“, kein Ziel einer Einkehr oder sonst etwas. Shikantaza ist shikantaza, also eine Tätigkeit, die sich durch „einfach nur Sitzen“ ausdrückt. Der Mensch setzt sich hin und tut nichts, nicht Denken, weder tuendes Sein, noch Nicht-Sein. Nichts dergleichen. „Nur Sitzen“ ist wirklich nur sitzen, wie nur essen, nur gehen, nur schauen oder sonst nur ein Tun. Keine speziellen Gedanken braucht es dafür, und keine Trennung ist diesem Sitzen eigen. Ich kann nur für mich sagen, das ich nach mehrmaligem Lesen, was bei Übersetzungsarbeiten ja nicht zu vermeiden ist, sich ohne das mir ein Konzept zuteil wurde mein eigenes „Sitzen“ mehr als deutlich verändert hat. Ich glaube sagen zu können, das „Loslassen-Können“, was den Geist angeht, sich mir jetzt brauchbarer erschließt, meine Sitzpraxis die Härte und Verbissenheit verloren hat, die ihr zuvor eigen war und ich mich heute regelrecht freue, wenn die Zeit für meine Sitzrunden gekommen ist. Die täglichen viermal 25 Minuten sind jetzt für mich wie das Ablegen meines Kopfes auf das Kopfkissen am späten Abend, wenn ich müde meinen Körper zur Nachtruhe bringe: Wohltat und Segen. Die Sitzrunden haben ihr Anstrengung verloren, ohne nicht-anstrengend zu sein; sprich: Sie sind jedes Mal so, wie sie sind. Punkt. Und dabei werde ich es mit der Beschreibung auch belassen, denn mehr zu sagen wäre aus meiner heutiger Sicht falsch und wenig hilfreich. Dazu sollten Sie sich ihr eigenes Bild machen, denn dazu liegen die Texte im nachfolgenden Download vor. Diese können aus meiner jetzigen Sicht heraus auch gar nicht zusammengefasst werden, sondern sie müssen ähnlich wie das nur-Sitzen durch nur-Lesen erlebt werden. Nur dann sind sie, wenn überhaupt, zu verstehen. Was ich sagen kann ist, das sich der Begriff shikantaza mit jeder Seite verdichtet, weitet und klarer zu werden scheint ohne je eine abschließende Definition anzubieten. Der Leser bekommt eine Idee, was es sein könnte, ohne über ein Konzept oder Rezept verleitet zu werden, etwas Geschriebenes glauben zu müssen. Der Rest sollte mit Eigenem gefüllt werden (können), mit etwas also, was nur „mir“ zuteil werden kann. So verstehe ich es heute, und von morgen oder gestern schreibe ich nicht (mehr).

Es gibt allerdings ein paar Ratschläge zum Lesen, die ich aus eigener Erfahrung gerne noch weitergeben würde. Die Texte erschließen sich nicht mit der Logik, die gewöhnlich in einem Sachbuch das Werkzeug ist, mit dem man sich das Thema des Buches erschließt. Ich würde es heute vermeiden, jeden noch so kleinen Satz logisch verstehen zu wollen. Auch sind manche Schlussfolgerungen, die einem Satz folgen, nicht immer so eindeutig, wie es uns der Text suggeriert. Ich empfehle daher, einfach lesen, komplett das ganze Kapitel zu lesen ohne Zwischenüberlegungen oder Recherchen. Ich habe viele Zusammenhänge erst beim zweiten oder sogar dritten Lesen annehmen können. Es erschließt sich so ohne Zutun. Ich würde weiterhin die Texte erst nach den Tagessitzungen Zazen lesen, oder, anders formuliert, nehmen Sie die Textinhalte nicht mit ins Zazen, oder bildlich ausgedrückt, legen sie die Streichholzschachtel, mit der Sie ein Feuer anzünden, nicht ins bereits brennende Feuer. Zazen ist immer fertig und braucht keine Anfeuerung.

Und eine weitere Sachlage geben ich zu bedenken. Einige der Texte, worauf sich die Übersetzer und Autoren beziehen, waren in Alt-Chinesisch geschrieben, wurden Neu-Chinesisch interpretiert 2 und dann ins US-Englische übertragen. Von dort aus erfolgte die Übersetzung ins Deutsche. Dieser lange Weg ist so etwas wie das Spiel „Stille Post“ und es ist unwahrscheinlich, das dabei so manches Motiv, das ursprünglich zwischen den Zeilen leuchten sollte, nicht verloren gegangen sein soll. Bitte halten Sie diese Sachlage stets im Hintergrund des Denkens aktuell. Ihnen sollte so und intuitiv eine eigene Interpretation des Gelesenen möglich bleiben.

Leseprobe

„Nicht-Bleiben ist die ursprüngliche Natur des Menschen. Aufeinanderfolgende Gedanken hören nicht auf; frühere Gedanken, gegenwärtige Gedanken und zukünftige Gedanken folgen ohne Unterbrechung aufeinander. Wenn ein Augenblick des Gedankens abgeschnitten wird, trennt sich der Dharmakörper vom physischen Körper, und inmitten der aufeinander folgenden Gedanken gibt es keinen Platz für Anhaftung an irgendetwas. Wenn ein Moment des Gedankens anhaftet, dann haften die nachfolgenden Gedanken; dies wird als Fesselung bezeichnet. Wenn die aufeinander folgenden Gedanken in allen Dingen nicht anhaften, dann bist du ungefesselt. Deshalb wird das Nicht-Beharren zur Grundlage [von Zazen] gemacht.“ [Quelle: Plattform Sutra]

Shikantaza – Die Kunst des „nur Sitzens“

Shikantaza – Die Kunst des „nur Sitzens“ ist eine Übersetzung eines Buches, das essenziellen Texte zu Shikantaza enthält und nur in englischer Sprache erschienen ist. Ich habe daher eine deutsche Übersetzung angefertigt und stelle diese hier allen Interessierten zur Verfügung.

Version: 01/2023
Published: März 8, 2023
  1. ISBN 0-86171-394-X
  2. Ein Beispiel auch dem 1000 Zeichen-Klassiker (um 500 n. Chr.): „Kälte kommen Hitze gehen“ sind die Bedeutungen der klassischen vier Zeichen. Übersetzt und interpretiert heißt es dann: Die Kälte im Winter, die Hitze im Sommer: Sie kommen und gehen in wechselnden Lauf.
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