Si Tacuisses, Philosophus Mansisses (?)

Ich möchte folgenden Satz voraus stellen, der die Zielrichtung des Artikels erklären soll: Es ist in der aktuellen Lage der heutigen Zeit nicht weise, den Weisheitslehren der großen Lehrer bezüglich der öffentlichen Debatten in Form von Schweigen weiterhin zu folgen. Diese Lehren haben auch heute noch viel zu wenige Anhänger, um in der Gesellschaftsform Demokratie wirksam zu sein.
Es ist schwer und gelingt nur selten, etwas zu sagen, zu schreiben oder anzumerken, was mit den Befolgen von Weisheit in der heutigen Zeit zu tun hat. Im Gegensatz dazu ist Weisheit in eingegrenzten Motiven relativ oft anzutreffen. Das ist trotzdem kein Grund, sich auch und besonders über allgemein gültige Aussagen keine Gedanken machen zu können/sollen und diese eventuell sogar aufzuschreiben. Es geht ja im Schreiben nicht darum, Wahrheiten zu formulieren, sondern Möglichkeiten aufzuzeigen, die belegen, das es auch anders gedacht werden könnte und somit der Wahrheitsgehalt überwiegend im Unscharfen bleiben soll/muss. Wie in der Überschrift bereits angedeutet, ist die immerzu moderne Absicht, die in Medien, Wissenschaft und Politik gehäuft vorzufinden sind, Wahrheiten aussprechen und verbreiten zu wollen eine fragwürdige Handlung, gelingt sie doch selten und lässt in der Regel große Angriffsflächen zurück.

Allgemein betrachtet wurde Weisheit in der Literatur immer dann als gegeben angesehen, wenn entweder eine spezielle Aufgabe wie Streitfälle zwischen Menschen, Familien, Regionen oder sogar Staaten friedlich zu lösen sind und/oder Ratschläge gegeben werden, wie der einzelne Mensch in seiner wie immer auch geformten Umwelt ein mehr entspanntes, sorgenfreies, sicheres und leidloses Leben führen könne. Die Motive, die dahin zu führen in der Lage seien waren zumeist Vertrauen aufzubauen in die aktuell gegebenen politischen und religiösen Strukturen, Vertrauen und Mitgefühl in die Mitmenschen zu entwickeln und ein sich Zurücknehmen in emotional aufreibenden Situationen. Des Weiteren wurde stets auch empfohlen, das Licht der Öffentlichkeit zu meiden und mehr zurückhaltend zu sein mit Kritik und Ablehnung. Weisheit bedingt die Hoffnung auf das gute Gelingen und damit den festen Glauben an die stets innewohnende Intuition, sei es aus sich selbst heraus oder durch die Hilfe des Göttlichen.

Ich habe lange gesucht, um eine allgemeine Form der Definition im Netz für Weisheit zu finden, und wurde zu meinem Erstaunen tatsächlich in de.Wikipedia.org fündig:

Weisheit (altgriechisch σοφία sophía, lateinisch sapientia) bezeichnet vorrangig ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, bei Problemen und Herausforderungen die jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren.
Es gibt mehrere Definitionen und Konzepte von Weisheit, die sich in der Regel in den Spannungsräumen zwischen Rationalität und Intuition, Wissen und Glauben sowie zwischen Erfahrung und Instinkt bewegen. Weitgehende Übereinstimmung herrscht in der Ansicht, dass Weisheit von geistiger Beweglichkeit und Unabhängigkeit zeugt: Sie befähigt ihren Träger, systematisch Dinge zu denken („eine weise Erkenntnis“, „ein weiser Entschluss“, „ein weises Urteil“), zu sagen („ein weises Wort“, „ein weiser Rat“) oder zu tun („ein weises Verhalten“), die sich in der gegebenen Situation als nachhaltig sinnvoll erweisen. Dies geschieht häufig unter Vermeidung störender Einflüsse, wie beispielsweise dem eigenen Gefühlszustand oder gesellschaftlichem Gruppenzwang.
Bei näherer Betrachtung und umfassender Würdigung aller Umstände, manchmal auch erst mit zeitlichem oder räumlichem Abstand, erweisen sich diese Überlegungen, Äußerungen und Handlungen jedoch als „richtig“, zutreffend oder „wahr“.
Entsprechendes gilt für Worte und Handlungen, die der Weise nach reiflicher Überlegung nicht ausspricht oder tut (vgl. „Si tacuisses, philosophus mansisses“1). Weisheit wird zu den Kardinaltugenden gezählt. Als Gegenstand wird Weisheit thematisiert von Philosophie und Theologie, den einzelnen Religionen und der Ethnologie, von Wissenssoziologie und Persönlichkeitspsychologie, der Märchen- und Mythenforschung sowie in ihren künstlerischen Gestaltungen durch Kunst, Literatur und Musik.

Bereits der erste Satz…

Weisheit bezeichnet vorrangig ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, bei Problemen und Herausforderungen die jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren.

…der, wird er aufmerksam gelesen, zeigt eindeutig, das der Gehalt von Weisheit weit über das hinaus geht, was man umgangssprachlich unter Weisheit versteht. Die drei Wortgehalte von Natur, Leben und Gesellschaft umfassen bei genauem Hinsehen eigentlich alle Bereiche, mit denen ein Mensch konfrontiert sein kann. Selbst das Universum, die größtmögliche Einheit der Vorstellung, lässt sich leicht in den Begriff Natur eingliedern. Mit Natur werden im deutschen Wortschatz „ alle außerhalb und unabhängig vom Bewusstsein existierenden Dinge und Erscheinungen, die nicht durch die Tätigkeit des Menschen geschaffen wurden (dwds.de)“, angesehen. Dann beinhaltet der Satz das oft gebräuchliche Wort Leben, das wohl am eindrucksvollsten durch Goethe beschrieben wurde:

Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss (Goethe Faust II).

Was Leben letztlich alles sein kann/könnte, wissen wir nicht. In jedem Fall aber ist das Lebendige immer mit einem Kampf um das Weiter verbunden, ein Kampf, der für ein Individuum letztlich immer verloren werden wird. Beide Begriffe also, Natur und Leben, entziehen sich klar und eindeutig einer Definition, die zweifelsfrei wahr sein kann. Was wir daher im Alltäglichen zumeist tun, ist diesen Worten einen Setzungsgehalt zuzuschreiben und nach diesem zu verfahren. Hier steht also „Ich denke, also bin ich (Descartes)“ eindeutig im Gegensatz zu „Ich weiß, das ich nichts weiß (Sokrates)“. Was bedeutet das aber für einen Satz wie „Das war/ist ein weiser Entschluss“? Ich gehe weiter, ohne eine Lösung anzubieten. Das dritte Wort, das die Wirkungsfläche von Weisheit beschreibt, ist die Gesellschaft. Nun gibt es sehr viele unterschiedliche Gesellschaften. Vergleicht man z.b. die Gesellschaften Europas mit der von Nord-Korea, wird das überdeutlich. Trotzdem scheinen beide ja ganz stabil zu sein und sozusagen zu funktionieren. Wenn ich eine Gesellschaft als eine Herausforderung ansehe und bestrebt bin, „die schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise“ zu finden, ist doch wohl leicht zu erkennen, das „funktionieren“ ein Kriterium sein muss bei dieser Suche. Eine Gesellschaft ist doch eine…

…größere Gruppe von Menschen, die (organisiert) unter bestimmten politischen, ökonomischen, sozialen und sonstigen Verhältnissen innerhalb eines räumlich begrenzten Gebiets zusammenleben (dwds.de) …

…und sich dafür eine Ordnung gegeben haben, die dieses Zusammenleben möglich macht. Also ist doch wohl jede funktionierende Form als schlüssig und daher auch als sinnvoll anzusehen. Das jedes Gesellschaftsmitglied darin nicht immerzu machen kann, was es möchte, erschließt sich wohl von selbst. Die Ordnung in Gemeinschaften beinhaltet immer einen Zwang, sich anzupassen. Nur ein Einsiedler kann sich von einem solchen Zwang befreit sehen. Selbst die Zweisamkeit einer Lebensgemeinschaft beinhaltet bereits eine funktionale Ordnung, auch wenn diese nicht niedergeschrieben sein muss.

Kommen wir weitergehend zum zweiten Block der eingangs erwähnten Beschreibung von Weisheit, die die oben genannten allgemeinen Deutungen bereits eingrenzt und verzweigt:

Es gibt mehrere Definitionen und Konzepte von Weisheit, die sich in der Regel in den Spannungsräumen zwischen Rationalität und Intuition 2, Wissen und Glauben sowie zwischen Erfahrung und Instinkt bewegen.

Die Aussage, es gebe mehrere Konzepte über Weisheit ist sehr optimistisch formuliert. Im Prinzip hat jede Religion, jede Gesellschaftsform, jede Philosophie und jedes logische System ein eigenes Konzept darüber, und dann gibt es ja noch die Kombinationen von Gesellschaft, Religion, Charakterstatus und Bildung innerhalb einer Gesellschaft, die jeweils wieder eine neue Version von Weisheit hervorzuzaubern vermögen. Es sind also nicht mehrere, sondern unendlich viele Konzepte möglich. Das es in jeder Gesellschaft eine weitgehend verallgemeinerte Version gibt, der sehr große Teile der Bevölkerung anzugehören scheinen, reduziert das nur unwesentlich. Daher kommt wohl auch die schon erwähnte weitgehende Übereinstimmung, die heute gerne neudeutsch „Mainstream“ genannt wird. Das aber eine mehr oder weniger große Mehrheit ähnliche Vorstellungen besitzt, heißt ja nicht, das es nicht auch andere gerechtfertigte Ansichten geben kann. Daher kommt auch die in freiheitlichen 3 Gesellschaften übliche Anforderungen, Toleranz 4 zur Maxime zu erheben und nur das absolut Notwendige, das aber auch allgemein betrachtet regelbar sein muss, in Gesetze einzugießen. Die erwähnten störenden Einflüsse kommen dort zum Tragen, wo Toleranz nicht mehr gepflegt wird, was sich häufig in Emotionen oder emotionsgeladenen Gruppenzwängen beobachten lässt. Es erscheint daher weise, nur dort Vorgaben zu machen, wo dies unbedingt notwendig und auch machbar erscheint. Es wäre weiterhin notwendig, allen nicht geregelten Verhaltensweisen anderer mit Toleranz zu begegnen und dies immer unter der Maxime zu betrachten, die Freiheit jedes Einzelnen so weit wie möglich zu wahren. Das sind zusammengefasst sehr hohe und fast unerfüllbare Anforderungen, die jedem Einzelnen einer Gesellschaft zugemutet werden müssten. Die Basis dazu wird oft mit dem Begriff „Allgemeinbildung“ umschrieben, die, wie mittlerweile wieder oft zu lesen ist, nur geringen Anteilen einer Bevölkerung zugestanden wird und die weiterhin nicht auf andere Gesellschaftsformen übertragen werden kann. Die bestehenden Gesellschaften weltweit entbehren der Hoffnung auf Veränderung. Daher auch die Krisen, die unzähligen Konflikte und Übertretungen der Ordnungen sowohl innerhalb konstituierten Gesellschaften als auch im Zusammenspiel verschieden ausgeprägter Formen von solchen Systemen.

Die weitergehenden Beschreibung in der von Wikipedia gebrachten Form sind wenig hilfreich und festigen nur noch die bereits beschriebenen Motive. Der als Überschrift gesetzte Satz, das es hier und da weiser ist, sich nicht zu äußern als unbequeme, unangebrachte oder verletzende Wahrheiten auszuplaudern, erschließt sich ja bereits durch einfache Schlussfolgerung. Nicht jeder Gesellschaftsangehörige wird das notwendige Maß an Toleranz aufbringen können, da ja die Messlatten Allgemeinbildung und Toleranzfähigkeit sehr hoch liegen. Die künstlerischen Formen von Kunst selbst, Literatur und Musik würde ich persönlich aus einer Weisheitsbetrachtung ausschließen 5, da sowohl die Ausdrucksmöglichkeiten der Künstler als auch die Verständnisformen der Betrachter, Leser und Hörer sehr unterschiedlich sein müssen/werden.

  1. als spöttischer, verächtlicher Kommentar: Wenn du (in dieser Sache) geschwiegen hättest, hättest du keinen Schaden verursacht bzw. dich nicht lächerlich gemacht. Synonym zu wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben. Beispiel: Es ist völlig unnötig, sich mit solchen Äußerungen hervorzutun. Dwds.de
  2. Eingebung, ahnendes Erfassen, Erkenntnis ohne wissenschaftliche Einsicht.
  3. Freiheit im Gesellschaftsleben heißt nicht Unabhängigkeit von Regeln, Vorschriften und Gesetzen, sondern die individuelle Freiheit endet meist schon dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. In Demokratien sollten diese aber vom Volk und nicht von denen, die Macht ausüben, gesetzt werden.
  4. im Sinne von erdulden, erleiden, ertragen
  5. Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein. (Adorno) Sie zeitigt Möglichkeiten, aber nicht Wahrheit oder Weisheit. (HpS)
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