Der moderne Mensch entwirft daher Systeme ungeheuren Ausmaßes, die schützen sollen vor allerlei Gefahren, Sorgen, Mangel und anderen Störungen, die als unangenehm und belastend empfunden werden. Das geht soweit, das Angst heute als ur-menschliches Gefühl beschrieben und angesehen (Apotheken Rundschau), und dass das Fehlen von Angst sogar schon als pathologisch, also krank angesehen wird. Wir Menschen haben somit diese Angst als Grundform unseres Seins akzeptiert und leben darin gezwungenermaßen wie ein Fisch im Wasser? Ist in Angst zu Leben aber empfehlenswert? Können Menschen überhaupt ohne Angst leben? Ist Angst wichtig, notwendig, unumgänglich? Das sind unangenehme Fragen.
Im Buddhismus zum Beispiel, für mich eine weitgehend friedvolle Religion mit friedvollen Anhängern, werden „Gier, Hass und Verblendung“ als die drei geistigen Gifte bezeichnet, auf denen unsere Leiden sich letztlich aufbauen. Wenn wir uns in den nächsten Zeilen die Erläuterungen 1 zu diesen Giften ansehen, werden wir erkennen können, das alle drei, jedes auf eine ganz bestimmten Art und Weise auch/und/oder auf Angst aufbauen:
Gier: Mit Hilfe der Gier versuchen wir einen inneren Mangel an Sicherheit durch das Greifen nach Objekten im Außen zu kompensieren – wir halten uns an ihnen fest, sie geben uns Halt und füllen die innere Leere. Der Schwerpunkt der Kompensation liegt häufig auf der materiellen Ebene in Form der Anhäufung von Besitz oder übermäßigem Gebrauch von Genuss- und Suchtmitteln. Er kann sich aber auch auf der geistigen Ebene, beispielsweise als Gier nach Anerkennung oder Wissen, manifestieren.
Hass: Destruktive Emotionen wie Unzufriedenheit, Hass und Wut entstehen, weil man etwas, was man sich gewünscht hat, nicht bekommen hat. In den meisten Fällen ist die Ursache fehlende Liebe. Wenn wir in unserer Kindheit keine Liebe erfahren konnten, wachsen in uns Hass und andere negative Emotionen, wie Neid auf diejenigen, die bekommen, was uns vorenthalten wurde. Wir entwickeln eine andauernde Unzufriedenheit und können unser Leben nicht mehr unvoreingenommen genießen.
Verblendung: Die Unwissenheit wird als Grundlage für die Entstehung aller anderen „Übel” gesehen. Nur im „verblendeten Geisteszustand” verbinden wir uns mit Gier und Hass und nähren sie. Ein klarer Geist erkennt die destruktiven geistigen Faktoren, nimmt sie wahr, aber „lässt sie dann sitzen”, d.h. man identifiziert sich nicht mit ihnen und springt nicht hinein.
Gier und Hass haben ganz sicher etwas mit Angst zu tun. Sei es die Angst, morgen nicht genug zum Leben zu haben, sei es, weil man anderen Dinge und Wissen nicht gönnt aus der Angst heraus, den Anschluss verlieren zu können, sei es, weil man an der Vergangenheit haftet und erlittenes Leid auch Generationen übergreifend nicht vergeben kann. Anders sieht es mit der Verblendung aus. Hier wird Unwissenheit als Ursache genannt. Wissen aber muss immer erst erworben oder vermittelt werden. Erst wenn Wissen vorhanden ist, kann es „sitzen gelassen“ werden. Erst wenn die geistigen Faktoren erkannt wurden, können sie beachtet werden. Erst wenn die Gefahr erkannt wurde, springt man nicht mehr in sie hinein. Mit seinen geistigen Faktoren identifiziert zu sein, ist heute aber der Normalzustand. Das zu hinterfragen oder sogar schon verlieren zu können bedeutet fast automatisch in Angst zu geraten. Diese dann noch wie von außen betrachten zu können, was wie oft beschrieben mit Arbeit und Hin- bzw. Aufgeben verbunden ist, wird ebenfalls meist von Angst begleitet, sei es die Angst, zu viel aufgeben zu müssen, sei es, an der erforderlichen Hingabe zu scheitern. Hin- und Aufgabe sind allerdings bereits die Mittel zur Überwindung der Angst. Sie richtig einzusetzen, muss gelernt werden. Das wird heute nicht (mehr) automatisch mit in die Wiege gelegt.
- Texte der Pagode Path Hue, Frankfurt; http://www.phathue.de/allgemeines/drei_gifte_tts/ ↩