Rohatsu

In jedem Jahr wird im Daishin-Zen-Kloster Buchenberg im Dezember und im Januar jeweils ein Rohatsu Sesshin durchgeführt. Dieser Brauch erinnert an die Legende, dass Buddha selbst in dieser Jahreszeit in einer Woche durchgängigen Sitzens unter einem Bodhi-Baum Erleuchtung erlangt habe.

Ein Rohatsu steht für sehr frühes Aufstehen am Morgen, langes Sitzen in Zazen (Sitzen in Kraft und Stille) und Yaza (freies Sitzen) bis spät in die Nacht, steht für Entschlossenheit und Ausdauer, für Willenskraft und viel Geduld. Diese Woche findet nahezu vollkommen im Schweigen statt, es ist trotz vieler Menschen auf engem Raum sehr still um die Teilnehmer herum. Die beiden Tage der An- und Abreise sind entspannt und locker gestaltet. Sie dienen der Eingewöhnung in die Meditationsarbeit. Von den dazwischen liegenden Tagen sind der erste und der sechste Tag ebenfalls noch locker geformt. Der Beginn des Tages ist auf 4:30 Uhr gesetzt, das Ende des Tages wird gegen 23:30 Uhr gefeiert. Dazwischen erfolgen Zazen, Rezitation, eine Teezeremonie, Mahlzeiten, Arbeiten für die Gruppe und für das Kloster sowie sportliche Aktivitäten. Die mittleren vier Tage haben eine ähnliche Tagesstruktur, beginnen aber bereits gegen 3:30 Uhr und enden für die meisten Teilnehmer nicht vor 1:00 Uhr in der Nacht. Zwei dieser Nächte werden oftmals ganz durchgesessen, das heißt, die Nacht endet gegen 2:45 Uhr und 45 Minuten später beginnt der neue Tag. Summa sumarum verbringt ein Teilnehmer auf einem Rohatsu zwischen 70 und 80 Stunden in Zazen. Zum Schlafen bleibt wenig Zeit, und die Frage, die immer gestellt wird, wenn ich davon erzähle, ist daher auch einfach zu erraten: Was soll das denn bringen?

Ein Sesshin –Rohatsu ist ein strenger gestaltetes Sesshin- ist eine Übungswoche, in der geübt wird, was man nicht gut kann. Weil üben bedeutet, dass die Aufgaben nicht immer gleich zufriedenstellend gelöst werden können, vollbringt man diese Tätigkeit in einem geschützten Rahmen (Kloster) und zusammen mit Menschen, die ebenfalls üben, d. h. unter Freunden. Und wenn in diesem Rahmen mal was schief läuft, lachen zwar auch alle, aber gleich danach ist alles wieder gut. Das Sitzen in Stille und die Stille der Gruppe konfrontiert den Teilnehmer intensiv mit sich selbst. Jede innere Regung, jede Unruhe, jeder Impuls, jeder Schmerz und jede Tollpatschigkeit kommt eindeutig und für jeden klar erkennbar aus sich selbst. Das zu erkennen ist unter anderem ein Sinn der Übungen. Man kann hier niemand anderem die Schuld für seine inneren Ausbrüche zuschieben wie im Alltäglichen. Daher erkennt mancher vielleicht zum ersten Mal, was er in sich und mit sich herumträgt und wie sich diese Konditionierungen breitmachen, wie sie ablaufen und belasten. Der Meditierende lernt sich selbst zu beobachten, lernt in sich zu schauen, lernt die Programme kennen, die innerlich in ihm ablaufen. In der Stille einer Übungswoche können die Impulse, die diese Programme aussenden, keine Früchte tragen. Sie werden zwar erkannt, aber der Übende folgt ihnen nicht, denn der Übungsrahmen lässt dieses nicht zu. Die Gruppe gemeinsam Übender trägt den Einzelnen dann über diese Impulse hinweg und durch sie hindurch und man ist erinnert an eine Herde, aus der auszuscheren nicht ohne weiteres gelingt.

Viele Teilnehmer einer Sesshin sind erfahrene Zen-Anhänger. Die Ruhe und die Gelassenheit ihrer Ausstrahlungen übertragen sich auf die Gruppe und bilden schnell ein dichtes tragendes Feld, auf dem sich auch ein Einsteiger leicht bewegen kann. Die Gruppendynamik ist groß und verschweißt innerhalb weniger Stunden schon sich unbekannte Menschen zu einer Gemeinschaft. Die geregelten Abläufe, das auf den Anderen sich verlassen können, die unbelastete Atmosphäre des Klosters, die große Kraft der Leiter und die Präsenz des Meisters formen diese Woche zu einer Erfahrung, der sich jedes Wort der Beschreibung entzieht. Man muss es spüren, um es verstehen zu können. Ich habe schon einige dieser Wochen hinter mich gebracht und durchlebt, und es ist erstaunlich, wie wenig diese Zeiten in mir zurücklassen. Trotzdem gehe ich immer gestärkt und gelassener danach in den Alltag zurück, und wer das jetzt für einen Widerspruch hält, das nichts stärkt und gelassen macht, der sollte sich mal mit Zen beschäftigen. Widersprüchlichkeiten sind hier nicht Ausnahme, sondern Regel, und das diese trotzdem auf ein Leben einzuwirken vermögen erklärt sich vielleicht aus dem Gedanken heraus, dass das, was wir Leben nennen und von dem wir alles zu wissen glauben, eigentlich etwas ganz anders ist.

Nichts zu wissen ist ein guter Anfang, sagt man im Zen, und Zazen gestaltet dies aus, ohne dabei vergessen zu müssen.

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