Buchbesprechung: Shitzuteru Ueda, Wer und was bin ich?

Zur Phänomenologie des Selbst im Zen-Buddhismus

Das Buch „Wer oder was bin ich?“ von Shitzuteru Ueda ist 2011 in „Verlag Karl Alber“ in der Reihe „Welten der Philosophie“ erschienen. Ueda lehrt  und Philosophie an der Universität in Tokyo.

Uedas Buch ist keine einfache Lektüre. Die Beschreibungen erinnern stark an Heideckers und Eckhards Denken, sind sehr abstrakt und teilweise schwer nachvollziehbar. Ob diese Arbeit zur Erläuterung des Zen hilfreich ist oder eher nicht, wage ich nicht zu entscheiden. Allerdings bringt diese Schrift den Leser dem japanischen Denken etwas näher. Sie beschreibt eine dem europäischen fremde Form des Denkens, die sich nach einiger Mühe aber auch dem nicht-zen-übenden Menschen erschließt und erläutern kann, was im Zen, im Sitzen und Arbeiten unter Zen-Bedingungen geschehen soll. Es dient somit dem Verständnis einer uns zumeist unbekannten Weltsicht. Ich würde dieses Buch einerseits dem geübten Philosophie-Leser empfehlen, aber auch dem Zen-Übenden, der als Europäer tiefer in die Zen-Literatur einsteigen möchte. Ob allerdings das Wissen und das Durchdringen des Textes dazu geeignet ist, den Zen-Übenden weiterzubringen, weiß ich nicht und kann ich auch nicht beurteilen. Fest steht für mich, dass ich nach der Lektüre einiges bisher mir Unverständliches jetzt mit anderen Augen sehe und mein Widerstand deutlich gesunken ist, mich mit Zen-Literatur überhaupt zu befassen. Das ist vielleicht nur ein Anfang, vielleicht aber auch ein für mich wichtiger Schritt auf dem Weg. Ob es ein Meilenstein werden kann, wird erst die Zukunft zeigen.

Das Buch beginnt zunächst mit einer Erläuterung der Begriffe Leere und Fülle, wie sie sich im Begriff des Sunyata im Mahayana darstellen. Dann geht er über in die Beschreibung der zen-buddhistischen Erfahrung des Schönen, eine Sichtweise, die sich sehr von der europäischen unterscheidet. Dann definiert er den Begriff der Doppelwelt, in der der Zen-Mensch wohnend seine Anschauung nach sich befindet. Dann fragt er: „Was ist Zen?“ und versucht eine Antwort zu geben, die sich auch einer europäischen Denkweise  erschließen kann. Über die Erfahrung der Sprache (Glaube und Mystik) nähert er sich dann dem Schweigen und Sprechen im Zen-Buddhismus. Der Reigen geht dann über das Reale und A-Reale im Sprechen des Zen-Buddhismus anhand des Gedichts eines Kindes über „Meister Eckhard und Zen“ zum eigentlichen Thema des Buches: „Wer und was bin ich?“.

Nach Ueda geht es im Zen um das „Erwachen zum wahren Selbst“. Dazu benutzt Ueda die Illustrationen der drei letzten Ochsenbilder für seine Auslegung des wahren Menschen im und durch Zen. Darin benutzt die Zen-literatur eine Zeichnung, ein Bild, dann ein Gedicht, eine dichterische Wortsprache und zuletzt eine Erklärung in der Begriffssprache: Den leeren Kreis, die Natur und „den Greis und der Junge“.

Nach Ueda ist der Weg des Zen das Wandeln in der unendlichen Offenheit des Nichts, das sich in dem Satz ausdrückt: „Das bin ich, indem ich nicht ich bin“.

Dann erklärt er anhand des Bildes des Horizonts diesen Widerspruch, das Welt in unserer Wahrnehmung immer umschlossen ist vom Unbekannten, ganz gleich wie weit der Horizont auch gesteckt sein mag. Das bildet zwangsläufig eine Grenze, hinter der das Unbegrenzte beginnt. Die uns erschlossene Welt ist trotz ihrer Begrenztheit immer von der Unbegrenztheit begrenzt, mit anderen Worten von der unbegrenzten Offenheit umgriffen. Der Mensch sollte also wissen, dass er nicht weiß, was jenseits seines Horizonts ist. Er wohnt aber trotz seines Nichtwissens zugleich in der unbegrenzten Offenheit. Dies zu realisieren ist wahres Mensch-Sein. An einem Beispiel japanischer Dichtkunst wird das wie folgt demonstriert:

Im Gefühl, das der Tag nah ist, an dem ich irgendwo hin gehe, stehen mir die Dinge der Welt näher und vertrauter.

Die Dichterin wohnt in der Welt und geht irgendwann, sterbend, irgendwohin, und sie fühlt das jetzt als konkrete Befindlichkeit. Ihr werden dadurch die Dinge der Welt vertrauter, sie erlebt jetzt die Welt intensiv, das sie sich als hier in der Welt und in der unendlichen Offenheit erlebt.

Das Subjekt erlebt sich als selbst. In der unbegrenzten Offenheit aber auch als nicht-selbst, da ich/selbst dort keine Bedeutung haben kann. Im Wissen um diese Offenheit bin ich also auch nicht-ich: Ich bin, indem ich nicht bin, ich.

„Siehst du die Blumen da blühen, wie sie blühen?“

Diese Frage fordert auf, die Blumen selbst-los, mitblühend, zu erleben. Ich sehe die Blumen nicht als ich, sondern bin im Sehen selbst Blume, die blüht; und so begegne ich auch dem anderen, selbst-los, ich bin auch du, du bist auch ich.

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