Die Objektlose Meditation der Stille

Die Setzungen der westlich geprägten Kulturen

Nahezu jede Form möglicher Kultur beruht auf Setzungen, die das Denken der Menschen in einem bestimmten Kontext festschreiben. Sehr häufig sind diese Setzungen so gestaltet, das daraus so etwas wie eine Logik entsteht, was einfach erklärt eine Methode darstellt, wie innerhalb einer Kultur man zu wirksamen Wissen gelangen kann. Das geschieht, um dieses Wissen dann in theoretischer Form an seine Mitmenschen weitergeben zu können. Viele Dinge, über die ein westlich geprägter Mensch sicheres Wissen zu haben glaubt, hat er selbst weder gesehen noch erfahren, sondern nur über Bilder, Nachrichten, Medien und Erzählungen angenommen. So habe ich zum Beispiel nicht sehen können, das unsere Erde eine Kugel ist, die um die Sonne kreist. Trotzdem bin ich mir dieses Wissen bewusst. Nun ist das ein sehr einfaches Beispiel. Anders sieht es aus, wenn die Grundlagen unserer Logik berührt werden, wie zum Beispiel durch „den Satz vom ausgeschlossenen Dritten“ 1. Ein weiteres Beispiel ist der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch 2. Und vielleicht ist auch noch der dritte dieser Sätze, die prägend für unsere Kultur sind, von Bedeutung, das Bivalenzprinzip oder das Prinzip der Zweiwertigkeit 3. Vieles deutet darauf hin, das unser westliches Denken in dualistischen Kontexten von diesen Sätzen so stark geprägt sind, das wir Kulturen und Überlieferungen, die ein anderes Schema verfolgen, einfach nicht zu verstehen in der Lage sind. Solcherlei trifft bestimmt zu zum Denken in China sowie weiten Teilen Asiens und Afrikas.

Was in diesem Zusammenhang für und über die Meditation wichtig ist, hängt damit zusammen, das wir getreu unserer Logik der Meditation nahezu immer eine Methode zugrunde legen. Ich setze mich also hin und tue dann etwas, versuche ein Ziel zu erreichen oder etwas zu bewirken, etwas zu verändern oder etwas zu erleben. Das ist in vielen Meditationsformen der Kontemplation und Bewegung durchaus richtig, trifft aber für die Meditation, wie sie oben definiert ist, also ruhender Geist und ruhender Körper, nicht mehr zu. Hier tun wir weder etwas, noch versuchen wir etwas zu erreichen oder gar zu erleben, noch streben wir nach etwas, was unser Leben bereichern könne. Denn der Versuch, etwas zu erreichen ist schon lange nicht mehr „ruhender Geist“. Diese Form der Meditation beruht auf einer überlieferten Erfahrung, die ganz und gar keine Methode mehr ist. Sie besagt einfach nur: Setze dich hin und sei still bzw. versuche standhaft und zwanglos, einfach nur still zu sein. Richtig gelesen werden viele Leser schon aus den Worten „standhaft und zwanglos“ einen Widerspruch herauslesen. Denn wie kann ich standhaft sein, ohne mich zu zwingen, stehen zu bleiben. Das gleiche gilt auch für die Umkehrung. Wie geht ein zwangloses Beständig sein. Wir können heute aus den Ergebnissen der Hirnforschung herauslesen, das Beständig sein ohne Zwang dann entstehen kann, wenn der Mensch sich lernend verhält und sein Interesse am Tun so stark ist, das es, wie Hüther 4 es formuliert, „unter die Haut“ geht. Das gilt auch dann, wenn das interessante Tun ein Nicht-Tun ist. Und hier haben wir schon einen Satz, der unseren Setzungen widerspricht. In unserer Logik kann ein Mensch nicht nicht tun: Entweder er meditiert und/oder er faulenzt, d.h. aber immer, er bewegt sich zwar nicht, tut aber sitzen…, usw.

Die Methode (…die keine ist…) in Ruhe zu Sitzen, über die ich schreibe, kommt aus China, wurde von Japan übernommen und bedeutet so viel wie „Tun durch Nicht-Tun“ 5 Ich habe lange überlegt, ob ich auch das japanische Pendant dazu erwähnen sollte, habe mich aber entschieden, es nur am Rande zu beschreiben, da verschiedene Traditionen diesen Begriff oder diese Beschreibung einer Meditationsart ganz unterschiedlich interpretieren. Innerhalb des Zen in Japan ist zur Zeit keine Einigung zu entdecken, was der Begriff „Shikantaza Zazen“ 6 eigentlich beschreibt. Die Meinungen gehen von einer Meditationsmethode für alle bis zur einer Praxis der Meditation, die nur für „Erleuchtete“ geeignet/vorgesehen sei. Interessant ist ein Zitat Dogens, das die Geisteshaltung in „Nur-Sitzen“ klar beschreibt:

Nachdem Sie Körper und Geist auf diese Weise angepasst haben, atmen Sie einen Atemzug langvoll aus. Setzen Sie sich fest in Samadhi und denken Sie nicht. Wie denkst du, geht nicht zu denken? Nicht Nachdenken. Dies ist das Herz von Zazen. Zazen lernt keine Konzentration. Es ist das Dharma -Tor von großer Leichtigkeit und Freude. Es ist eine unbefleckte Praxis der Erleuchtung. Dogen 1243

„Denken Sie nicht“ ist die Anweisung, nachdem der Sitz eingerichtet ist. Das schließt aus, eine Methode zu verwenden, ein Ziel zu haben, etwas erlangen zu wollen oder irgendwie ein Objekt der Begierde zu befrieden. Es geht darum, einfach nur zu sitzen. Nur des Sitzens wegen zu sitzen ist die Nicht-Befleckung. Es geht also weder um etwas noch um nichts, einfach Sitzen ist einfach Sitzen, sonst nichts. Natürlich stellen sich dem europäischen Menschen jetzt Fragen. Aber die Antwort wurde schon geschrieben: Sitzen, um des Sitzens Willen, mehr nicht.

Nicht denkend zu sein ist eine Idealvorstellung, die nicht oft und nicht lange anhält. Und ob der Nicht-Denkende sein Nicht-Denken überhaupt bemerkt, erscheint fraglich. Ich bin zur Zeit der Ansicht, das nur die gefühlte Dauer eines Meditationsabschnitts und die Summe der gedachten Gedanken darin Auskunft darüber geben könnten, wie still das Denken in der Meditation war. Aber ich weiß auch, das solche Gedankengänge keinen Sinn machen, da sie darauf abzielen, einen oder den Erfolg einer Tätigkeit festzustellen, die keine Tätigkeit ist. Das würde ein Ziel voraussetzen, was nach Dogen nicht mehr unbefleckt genannt werden könnte. Was bleibt ist Sitzen, ohne Ziel und ohne Diskussion darüber, ob, wann, warum und wofür das alles gut sein soll. Es spricht einfach nichts dafür und auch nichts dagegen. Ich kann es tun und mache das auch: Es geht.

  1. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten (lateinisch tertium non datur wörtlich „ein Drittes ist nicht gegeben“ oder „ein Drittes gibt es nicht“; englisch Law of the Excluded Middle, LEM) oder Prinzip des zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen stehenden ausgeschlossenen Mittleren (lat. principium exclusi tertii sive medii inter duo contradictoria) ist ein logisches Grundprinzip und Axiom, das besagt, dass für eine beliebige Aussage nur die Aussage selbst oder ihr (komplementäres) Gegenteil gelten kann; eine dritte Möglichkeit, also dass lediglich etwas Mittleres gilt, das weder die Aussage ist noch ihr Gegenteil, sondern irgendetwas dazwischen, kann es nicht geben. Wikipedia DE
  2. Der Satz vom Widerspruch oder Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch besagt, dass zwei einander in derselben Hinsicht widersprechende Aussagen nicht zugleich zutreffen können. Im Lauf der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte und von unterschiedlichen theoretischen Standpunkten wurde der Satz vom Widerspruch auf unterschiedliche Arten von Gegensätzen bezogen und wurde in unterschiedlicher Weise als ontologisches, erkenntnistheoretisches oder logisches Prinzip verstanden. Wikipedia DE
  3. Das Prinzip der Zweiwertigkeit, auch Bivalenzprinzip genannt, ist die Eigenschaft einer Logik, dass semantisch jeder Formel genau einer von zwei Wahrheitswerten zugewiesen wird. Häufig werden diese Wahrheitswerte als wahr und falsch bezeichnet. Wikipedia DE
  4. Deutscher Hirnforscher…
  5. Kurz gesagt geht es bei Wu-Wei um das bewusste Nichteingreifen oder Nichthandeln in einer Situation. Laut Yen-Hui Lee, der 2001 seine Doktorarbeit über „Die Gelassenheit und Wu-Wei“ an der Albert-Ludwigs-Universität veröffentlicht hat, ist Wu-Wei wie eine Art Meditation: Alles, was einen in Gedanken festhält, kann man loslassen. So beruhigt sich das Bewusstsein und wirkt wie ein Spiegel. Das hilft, zur Ruhe zu kommen und neue Kräfte entstehen zu lassen. Utopia.DE
  6. Shikantaza (japanisch, shikan bedeutet “nur”, “einfach” oder “lediglich”, ta hat verstärkende Funktion (wörtlich bedeutet es “schlagen”) und za ist das “Sitzen”) wird meist als “nur Sitzen” ins Deutsche übersetzt. Es ist eine Meditationstechnik, die vor allem im Zen-Buddhismus gepflegt wird, insbesondere als zentrales Element der Sōtō-Schule. Mit Shikantaza wird eine wichtige Form des Zazen bezeichnet, in der auf einführende Techniken wie das Zählen des Atems oder das in der Rinzai-Schule praktizierte intensive Studium von Koans verzichtet wird. Es ist “Zazen um des Zazen willen”, wobei der Begriff “Zazen” in diesem Zusammenhang nicht auf die Zazen-Haltung beschränkt ist. Zazen bedeutet in diesem Zusammenhang die ungeteilte, ganzheitliche Gegenwart. Das wichtigste Quellenwerk, welches die Praxis des Shikantaza beschreibt, ist das Shōbōgenzō des Dōgen Zenji (1200-1253). Wikipedia.DE)
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