Was ich also als „Ich“ bezeichne, ist ein Geist, der sich selbst wahrnehmen kann, der als Funktion in einem menschlichen Körper, der sich nach wie vor in einer Entwicklung befindet, agiert. Das ich die Seele mal so ausgespart habe, sollte nicht verwundern. Da es Kulturen gibt, die auf so etwas wie Seele, Atman oder Selbst verzichten können und sich trotzdem entwickeln, zeigt, das diese Setzung nicht zwangsläufig notwendig ist. Weiter zurück hatten wir den Geist einmal mit einer Landkarte verglichen, die der nicht ortsgebundene Körper des Menschen verwendet, um zu unterscheiden, was sich alles so in seinem Umfeld befindet und wozu es im Überlebenskampf von Nutzen sein könnte. Eine Landkarte ist ein Werkzeug. Werkzeuge können verwendet oder auch zu Seite gelegt werden. Was bleibt, nach dem wir das Werkzeug und somit das „Ich“ abgelegt hätten, ist der lebendige Körper. Sonst nichts. Somit ist der Fall gelöst: „Ich“ ist der Geist in Form einer Landkarte, die wie ein Werkzeug benutzt wird. Also weg damit? Ja ganz so einfach ist es doch wohl nicht, denn wenn der Kühlschrank nicht gefüllt, der Körper nicht gepflegt und die Umwelt nicht kontrolliert würde, wäre die Entwicklung, zu der ein Leben dient, bald zu Ende. Wir müssen uns auch nicht entscheiden, ob wir uns zwischen Körper und Geist für einen materialistischen Dualismus entscheiden und nur den Körper als existent annehmen oder ob wir annehmen, das alles einschließlich des Körpers Geist ist. Und auch einer der vielen anderen Ismen der Philosophie des Geistes und ihre Erklärungsversuche sind eigentlich nur Nice-to-have, weil wissen können tun wir es wirklich nicht. Keine Theorie kommt ohne Setzungen aus, und was wir über den Geist heute wissen, firmiert alles unter dem Begriff Theorie.
Nun, um weiter gehen zu können muss ich jetzt eine Entscheidung treffen und etwas behaupten, das ich nicht wissen kann, Und meine bevorzugte These ist die, das Geist biologisch betrachtet werden muss wie der Körper auch, und das es eher zutrifft, das der Körper einen Geist hervorgebracht zu haben scheint als umgekehrt. Und ich denke, da beide aus einer biologischen Entwicklung stammen, sie nicht voneinander zu trennen sind. Und diese biologische Entwicklung beginnt mit dem Erscheinen des Lebens auf der Erde. Und da wir zu diesem Leben gehören, ist und bleibt uns der Anfang dieser Entwicklung verborgen, da Leben niemals vor sein eigenes Erscheinen blicken kann. Aber das ist alles auch graue Theorie. Und wir müssen uns damit auch nicht auseinandersetzen, denn wir können einfach hier und jetzt schauen, was ist und hier unsere Analyse beginnen. Wir sind ein Körper mit einem Geist, der ein Ich herausgebildet hat. Dieses Ich samt seinem Schöpfer Geist dient dem Leben durch die Fähigkeit, zu unterscheiden. Weiterhin ist dieses Ich in der Lage, mit anderen Leben tragenden Wesen ein gemeinsames Feld oder allgemeiner gesagt Felder aufzubauen, eine Eigenschaft, die Beziehungen knüpfen kann und zu einem Leben in Gemeinschaften befähigt. Das ist die Ausgangslage jetzt für unser weitere Erforschung der Frage „Wer/was bin Ich?“ Wir haben nicht mehr wenige, sondern unzählige Motive, die sich als Ich auszudrücken verstehen. Die Wahrnehmung der Umfeld in Bezug zu Gefahr und Ressourcennutzung, die Regeln der Gemeinschaften, die Felder der Beziehungen, die Theorien zu Erscheinungen und Wandlungen, die Wahrnehmung des Körpers und seiner Bedürfnisse, die Automatismen aus der Zeit vor dem Bewusstwerden, Vermeidungsstrategien aus überstanden unangenehmen Ereignissen sowie der Umgang mit dem ganzen technische Kram, der all das koordiniert und befeuert, all das sind Teil und Wesen des „Ich“. Und all das dient, wie wir formuliert haben, dem Leben des Körpers und der Entwicklung des Lebens.
Nun habe ich mich, glaube ich in einigen Aussagen vielfach wiederholt. Das war notwendig, da nicht alle Perspektiven zur gleichen Zeit aufgezeigt werden konnten. Was als Essenz bleibt ist der nachfolgende schwerwiegende Satz:
Geist samt Ich dienen dem Körper, der wiederum der Entwicklung und Fortführung des Lebens dient.
Und so profan das klingen mag, so selbstverständlich, so ist die Beobachtung heute doch eine ganz andere, denn, hört man Menschen zu, in den meisten Fällen dienen heute Körper und Geist einem sich über alles erhobenen „Ich“. Nur so ist zu erklären, warum Menschen Leben vernichten statt zu fördern, Macht und Gier sich immer weiter ausbreiten und die Menschheit sich im Namen geistiger Theorien immer näher auf den Abgrund zubewegt, der sie letztlich sogar vernichtenkann. Wir haben bisher fast nur die evolutionstheoretischen und damit überlebens-technischen Entwicklungsschritten unsere Aufmerksamkeit geschenkt. Wenden wir uns nun den kulturtechnischen Motiven zu, deren sich ein „Ich“ bedienen kann. Das wird jetzt, bitte nicht erschrecken, als ob wir von einer Landkarte eines Dorfes aus einem kleinen Stück Papier zu einen detailgetreuen Weltatlas wechseln mit etwa 1000 Seiten in Großformat. Wovon wir sprechen müssen in diesem Zusammenhang sind der Stolz, die Ehre, das Wir-Empfinden (Clique, Familie, Heimat, Volk, Staat, Kollegialität, Verein, Bruderschaft), also diese ungreifbaren Werte, denen sich ein Ich verbunden und unterworfen fühlen kann. Dann sind da noch die Religionen, die Kulte, die Geheimlehren und sogenannte mafiöse Strukturen, die zu einer Identifikation führen können. Und als nächsten Punkt muss ich noch psychologische Motive aufführen, die von krankhaften Formen der Sucht über sexuelle, Macht und Status orientierte sowie euphorisch bedingte Abhängigkeiten gehen kann. Und damit beanspruche ich nicht einmal annähernd einen Anspruch auf Vollständigkeit. Nun kann ich in diesem Artikel nicht auf alle genannte Punkte eingehen. Ich muss daher auf die entsprechende Literatur verweisen, die es ja reichlich gibt. Was aber zu bedenken ist anhand der Aufzählung ist die Beobachtung, das nahezu alle Punkte darin sich zum einen auf der bereits angesprochenen Landkarte befinden, die das Ich ausmacht, und das alle genannten Motive erlernte Techniken, Gewohnheiten oder Ausprägungen sind. Sie sind zumindest größtenteils weder naturgegeben noch vererbt, sondern eher anerzogen, von Bezugspersonen kopiert oder durch gesellschaftliche Zwänge erzeugt. Und diese Produkte sind nicht fix, sondern entwickeln und verändern sich nahezu permanent. Bestes Beispiel dafür sind der Nachwuchs, der von liebenswürdigen Kindern sich über pubertierende Halbwüchsige zu gesellschaftskonformen jungen Erwachsenen entwickeln und deren Eltern meist mehr am Staunen sind als am Erziehen. Und das endet ja nicht mit 30, sondern führt sich fort vom Erwachsenen-Alter über das Bestager-Alter bis zum unternehmungslustigen Rentner. Die genannte Entwicklung gilt doch heute sozusagen der normale Entwicklungswegeines Gesellschaftsmitglieds, und nur unplanbare Ereignisse wie Verlust und/oder Krankheit, Arbeitslosigkeit und andere Umbrüche führen einen anderen Lebensweg herbei.Nichts davon erscheint also beständig und unumkehrbar. Im Gegenteil, es scheint so zu sein, das alles Erlernte im Zuge des lebenslangen Weiterlernens ständig im Fluss zu sein scheint. Was wir aber auf jeden Fall sagen können ist, das erlernte Identifikation, die Landkarte sozusagen, somit auch als veränderbar gelten kann. Das mag nicht immer einfach sein, zugegeben, ist aber möglich.
Ich zum Beispiel bin in einem kleinen Dorf groß geworden, habe Dialekt gesprochen und mich bis zum Teenager-Alter mit den in meiner Heimat üblichen Werten identifiziert. Heute spreche ich weder diesen Dialekt mehr noch empfinde ich dieses Dorf in irgendeiner Art und Weise als meine Heimat. Und auch die Werte, die nahezu unumstößlich mir ans Kinderherz gelegt wurden, teile ich heute nicht mehr. Als Wanderer zwischen Herkunft und neuem selbstgewähltem Umfeld habe ich diese Motive also abgelegt und empfinde mich mehr als heimatlos, was positiv betrachtet mich befähigt, überall dort zu Hause sein zu können, wo ich bin und es mir gefällt. Aus heutiger Sicht ist/war das für mich ein Motiv der Befreiung von unsinnigen Zwängen und somit mit einem die Lebensqualität fördernden Wert verbunden. Wie der Begriff Heimat können alle Wir-Empfindungen (s.o.) als Zwänge empfunden und, wenn gewünscht, abgelegt werden. Süchte können abgelegt werden, Religionen und Kulte können ausgewechselt oder ganz und gar abgelegt werden. Abhängigkeiten können beendet werden. Vielleicht sollte auch gesagt werden, das es wohl am Sinnvollsten ist, sich prinzipiell derartiger Gewohnheiten ganz zu enthalten oder doch zumindest die unverzichtbaren Übel in einem kontrollierbarem Maß zu genießen. Alles auf der Landkarte des „Ich“ ist bedingt, und daher nicht unumstößlich, wechselt oft und vielleicht sogar ständig und kann nicht als wirklich bezeichnet werden. Sicherlich sind diese Übel vorhanden, aber sie sind einfach nicht so tragisch, wie das in einer Gesellschaft häufig gesehen und praktiziert wird. Sie sind veränderbar und alles andere als fix. Das ist die wichtigste Überlegung, die Veränderungen in Lebensgefügen herbeiführen kann. Erst danach kommen konsequentes Handeln und der starke Wille. Aber das klärt nicht das Motiv der Frage „Wer/was bin ich?“ Das die genannten Kulturtechniken in Ich und Wir-Konzepten vorzufinden sind und dafür sorgen, das Menschen in Gemeinschaften leben und tätig sein können, ist dafür unerheblich. Sie erklären nur, wie der Mensch, wie das Wir und wie das Ich leben. Sie sagen aber nicht, was „Ich“ bin. Sie sagen nicht, was wirklich ist.